: Brigitte Scherer
: Das brauche ich bis vorgestern! Aus dem Leben einer Assistentin
: Redline Verlag
: 9783864142208
: 1
: CHF 2.40
:
: Ausbildung, Beruf, Karriere
: German
: 212
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Die vorlaut plappernde Sklavin ist verkauft! An den Mann mit den großen Zähnen!, dachte sich Brigitte, als sie den Job als Assistenz des Abteilungsleiters bei Alpha Prime bekam. Und sie hatte keine Ahnung, wie recht sie behalten sollte ... ' Schwungvoll und treffend beschreibt Brigitte Scherer den Arbeitsalltag einer Assistentin. Und spricht damit allen aus der Seele, die jemals einen Chef hatten: Man müsste dringend ein paar Dinge klären, aber der Chef ist nie zu fassen. Und an allem, was nicht klappt, sind selbstverständlich die unfähigen Mitarbeiter schuld. Brigitte Scherer schafft ein Lesevergnügen für alle, die unter Vorgesetzten à la Stromberg zu leiden haben. Und gegen all das hilft wohl nur eines: selbst Chef werden und alles anders machen!

1. Mein Chef braucht mich!


Mittwoch, 29. November, 2.13 Uhr

Ich kann nicht schlafen. Dabei muss ich morgen– nein, oh Gott: heute schon– unbedingt topfit sein. Ich habe einen Vorstellungstermin!

Seitdem ich ins Bett gegangen bin, wälze ich mich nur herum. Erst habe ich versucht, mich mit Schäfchenzählen zu beruhigen. Dann habe ich das Fenster aufgerissen und Sauerstoff ins Schlafzimmer gelassen, das Bett aufgeschüttelt, mich wieder hineingekuschelt und immer weiter Schäfchen gezählt. Irgendwann sind die Schäfchen eingeschlafen, aber ich war immer noch wach.

Also bin ich aufgestanden, um mir zur Beruhigung einen Tee zu kochen. Dummerweise bin ich eine sehr exzessive Kaffeetrinkerin. Die eine Packung Tee, die ich aus dem hintersten Winkel meines Vorratsschrankes herausgekramt habe, war schon verfallen, als es in New York noch die Zwillingstürme des World Trade Centers gab.

So dachte ich mir:»Schreib dir halt den Stress von der Seele. Vielleicht kannst du ja dann schlafen.«

In knapp acht Stunden stelle ich mich als»Persönliche/r Assistent/in« bei der Alpha Prime GmbH vor. Ich muss diese Stelle kriegen. Es muss einfach klappen. Sonst muss ich die Stadt verlassen. Denn hier in der Gegend habe ich mich im letzten Jahr schon auf jede Stelle bei jeder Firma beworben. Sogar mal bei einer Briefkastenfirma.

Seit rund einem Jahr suche ich einen Job als Assistentin, Sekretärin, meinetwegen auch Bürohilfe. Aber ich kriege einfach keinen, obwohl ich top qualifiziert bin.

Sogar für meine Jobsuche bin ich top qualifiziert. Ich habe nämlich eingehend Bücher studiert mit Titeln wie»Die perfekte Bewerbung«,»Do& Don’t im Lebenslauf« oder»Anschreiben für Anfänger und Fortgeschrittene«. Mit den Tipps daraus habe ich mein Anschreiben und meinen Lebenslauf inklusive Foto optimiert. Letzteres mit Photoshop: Fältchen wegretuschiert, Zähne aufgehellt, Glanzlichter in die Augen gesetzt.

Und es hat funktioniert. Ich bin oft eingeladen worden. Sogar ziemlich oft. Aber leider viel zu oft, ohne dass der Chef vorher einen Blick in meine perfekten Bewerbungsunterlagen geworfen hätte. So stellte der eine Chef beim Vorstellungstermin erschrocken fest:

»Oh, ich entdecke eben erst in Ihren Unterlagen…«, die er bereits seit vier Wochen vorliegen hatte,»…dass Sie für die ausgeschriebene Stelleüberqualifiziert sind– Sie wissen und können ja viel zu viel.«

»Ich kann Ihnen versichern«, habe ich angeboten,»dass es mir innerhalb kürzester Zeit gelingen wird, vieles davon zu vergessen und das meiste davon zu verlernen.«

Schließlich habe ich mich auch auf Bewerbungsgespräche top vorbereitet. Ich habe Bücher gelesen mit Titeln wie»Das perfekte Bewerbungsgespräch«,»Do& Don’t beim Vorstellungstermin« oder»Bewerbungsgespräche für Anfänger und Fortgeschrittene«. Diese empfehlen, man solle Schwächen offen eingestehen, indem man darauf hinweist, dass und wie man sie innerhalb kürzester Zeitüberwinden wird. Die Stelle habe ich trotzdem nicht bekommen. Der zweite Chefübersah gnädig meine berufliche Top-Qualifikation, machte sich dafür aber Sorgen um mein privates Wohlergehen:

»Sie sind Mitte 30. Nicht verheiratet. Und ein Kind haben Sie auch noch nicht. Hmhm«, schloss er. Und warf dann einen misstrauischen Seitenblick auf meine schlanke Taille.

Auch der nächste sorgte sich vor allem um mein privates Glück, ebenso derübernächste, bis derüberübernächste die Sorge um mein Privatleben auf den handfesten wirtschaftlichen Punkt brachte:

»Das Risiko, dass sie hier nur arbeiten wollen, um ein Kind zu kriegen, ist uns zu groß.«

»Eigentlich will ich hier arbeiten, weil ich mir irgendwie meinen Lebensunterhalt verdienen muss«, knurrte ich daraufhin. Wozu sollte ich meine Wut hinunterschlucken, wenn ich den Job auch stumm nicht bekommen hätte?

Und dann gab es da noch den Chef, der mich tatsächlich wollte:»Ich habe nichts gegen Frauen, die hoch qualifiziert sind. Wirklich nicht. Meine letzte Freundin war auch hoch qualifiziert. Sie warübrigens Ihre Vorgängerin als meine persönliche Assistentin«, zwinkerte er mir zu und schäkerte dann mit seinem Brieföffner lässig in Höhe meines Dekolletés herum. Darauf fiel selbst mir nichts ein. Außer einem»Nein, danke!«, bevor ich aufgestanden und gegangen bin. Ich wollte auf gar keinen Fall auch nur eine Sekunde länger bleiben und das Risiko eingehen, dass er mich mit seinem spitzen Ding aufspießte. Egal, mit welchem.

Lieber Gott, gib mir einen Chef, dem eine gute Qualifikation ebenso egal ist wie mein privates Wohlergehen!

Eine halbe Stunde später

Aber vor allem, lieber Gott: Lass mich endlich schlafen!

12.37 Uhr

Mann, war das ein Vorstellungsgespräch! Mir ist kotzübel davon. Muss schnell ins Ba…

Fünf Minuten später

Viel besser so. Zunächst mal: Danke, lieber Gott! Dafür, dass du mich