: Adrian Doyle
: Vampira - Folge 11 Hinter den Spiegeln
: Verlagsgruppe Lübbe GmbH& Co. KG
: 9783838713427
: Vampira
: 1
: CHF 1.60
:
: Horror
: German
: 64
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Der Sturz durch den Spiegel - hat Lilith ihn wirklich erlebt? Denn die 'andere Seite' scheint ihr normaler als das verwunschene Dorf: Der Himmel hat seine Purpur-Farbe verloren, es gibt keine lebenden Toten, Llandrinwyth ist bewohnt. Doch zwei Fakten trüben die Normalität. Beth ist spurlos verschwunden - und über dem Altar der Kirche erhebt sich ein unwirklicher, rasender Wirbel, in dem das Böse selbst zu wohnen scheint.

Lilith wagt sich hinunter in das Dorf. Und stößt auf ein Geheimnis, das sich um den Lilienkelch, einen grausamen Fluch und... ihre eigene Existenz rankt!

"(S. 18-19)

Tom wollte auf die Frau mit der blonden Kurzhaarfrisur zueilen, als sie aus der Kirche trat. Er tat es auch ein paar Schritte weit, prallte dann aber zurück. Ihre Augen…! Blind und doch sehend stolperte sie an Tom vorbei. Ihre Bewegungen kamen seltsam verzögert. Sie nahm keinerlei Notiz von dem Jungen. Aber das Schlimmste waren die Augen! Tom hatte noch nie Pupillen gesehen, die nur weiß und ganz ohne erkennbare Iris waren und dabei doch ihren Dienst verrichteten. Aber so war es. Wie sonst hätte sich die gutaussehende Frau (kein Vergleich mit Fee, natürlich!) mit dieser traumwandlerischen Sicherheit voran bewegen können?

Nach dem Toten, der ihm ans Leben wollte, war dies etwas, das Tom– wenn auch auf andere Weise– ebenso tief schockierte. Er war wie gelähmt und brachte es nicht fertig, der Frau zu folgen oder sich ihr auch nur durch einen Zuruf zu erkennen zu geben. Der Drang, das Dorf zu verlassen und zu den nahen Bergen zu flüchten, um herauszufinden, ob es dort Rettung gab, wurde schierübermächtig. Er zögerte, weil es noch die andere, die dunkelhaarige Frau gab. Sie musste sich noch in der Kirche befinden, und möglicherweise waren ihre Augen noch normal… Vorsichtig trat er durch das offene Tor in das Gotteshaus. Tom gehörte keiner Konfession an. Und normalerweise hasste er die Verlogenheit derer, die Predigtenüber Nächstenliebe konsumierten, ohne die Inhalte im Alltag auch nur andeutungsweise umzusetzen.

Er hatte es oft genug am eigenen Leib verspürt, was»praktizierte Nächstenliebe« im Alltag bedeutete… Dass das Purpurlicht auch vor der Kirchenpforte nicht halt machte, bestärkte ihn in seinem Vorbehalt. Die Kirche war leer. Völlig verlassen. Von der anderen Frau fand sich keine Spur. Weder im Kirchenschiff noch in den angrenzenden Bereichen. Das einzige, was Tom fand und wo er kurz stehenblieb, war ein zerstörter Spiegel in einem Schlafgemach. Als er eine kleine Speisekammer entdeckte, fand er nur Verdorbenes darin. Es erinnerte ihn daran, dass er eigentlich auch noch immer keinen Hunger verspürte.

Da es weder Nacht noch Tag zu geben schien, war es schwer zu ermitteln, wie viel Zeit seit seinem Erwachen in dieser alptraumhaften Umgebung verstrichen war. Vielleicht war er erst Stunden hier, obwohl es ihm wie eine Ewigkeit vorkam. Zwecklos, dachte er. Ich muss versuchen, das Ende der Purpurfarbe zu erreichen! Außerhalb des Dorfes– bei den Bergen! Es war nur eine vage Hoffnung, dass es dort eine Rückkehrmöglichkeit in die ihm vertraute Welt gab. Und um die Berge zu erreichen, musste er zunächst das Dorfüberwinden. Mit seinen auf alles Lebendige lauernden Toten…"