: Julya Rabinowich
: Spaltkopf Roman
: Deuticke im Paul Zsolnay Verlag
: 9783552061804
: 1
: CHF 5.70
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mischka wurde in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, in einer russisch-jüdischen Großfamilie geboren. Als sie sieben Jahre alt ist, erzählen ihr ihre Eltern, dass sie Urlaub in Litauen machen. Doch das Flugzeug landet in Wien. Mischka muss sich, gespalten zwischen den Mythen ihrer Kindheit und den Verheißungen des Westens, im Exil einen eigenen Weg suchen. Rabinowich überzeugt nicht nur durch ihren Sinn für Komik, sondern auch mit ihrem eigenständigen Stil: Nüchtern und überzeichnend zugleich beschreibt sie das Vakuum zwischen den Kulturen, in das einen die Emigration zu treiben vermag.

Julya Rabinowich, geboren 1970 in St. Petersburg, lebt seit 1977 in Wien, wo sie auch studierte. Autorin, Bildende Künstlerin, Simultandolmetscherin, Kolumnistin in der österreichischen Tageszeitung 'Der Standard'. Für ihren Debütroman Spaltkopf (2008) erhielt sie u.a. den Rauriser Literaturpreis (2009). 2011 nahm sie an den Tagen der deutschsprachigen Literatur (Bachmann-Preis, Shortlist) teil. Ihr Debütroman Spaltkopf wurde in mehrere Sprachen (u.a. Englisch) übersetzt. Zahlreiche Aufführungen ihrer Theaterstücke (u.a. Volkstheater, Schauspielhaus Wien). Bei Deuticke erschienen Herznovelle (2011, nominiert für den Prix du Livre Européen) und die Romane Die Erdfresserin (2012) und Krötenliebe (2016). Dazwischen: Ich (2016) ist ihr erstes Jugendbuch.

7

 

Es gibt einen Helden in der russischen Mythologie, der auf Rübenfeldern giftige Drachenzähne pflanzt, aus denen über Nacht Schattenkrieger wachsen. Einen, der die Prinzessin bekommt, immer. Einen, der auf seinem Ofen, auf dem er Tag für Tag die Zeit totschlägt, durchs Dorf und bis zum Zarenhof fährt, weil er zu faul ist, sich zu erheben, und der dann auch noch den Drachen besiegt. Er ist der jüngste Sohn des armen Bauern: Ivan der Depp.

Meine kleine Schwester wird geboren.

Während meine Mutter in der Geburtsklinik liegt, marschieren mein Vater und ich durch den Wienerwald. Noch bin ich der unumschränkte Erbe, der dem Zaren eifrig folgt und dafür ab und zu den Reichsapfel halten darf.

Wir stehen an der hölzernen Brüstung, die uns von einer Herde Ziegen trennt. Kleine, runde Tiere, die trotz ihrer bemerkenswerten Breite recht geschickt auf den Steinen herumturnen. Ich beobachte ihre gelb leuchtenden Augen unter den gebogenen Hörnern, während ich unser altes Brot wie einen Schatz fest umklammere. Sobald ich es verfüttert habe, drängen und stoßen die Tiere einander weg, ihre Hufe klingen wie Stöckelschuhe auf Asphalt. Zwei sind fast doppelt so breit wie die anderen, die Seiten zum Bersten aufgebläht, zwei kleine Heliumballons mit Bärtchen.

»Sind die auch schwanger?«, frage ich meinen Vater.

»Ja«, meint er.

»Hab ich mir gedacht. Sie sind viel aggressiver als die andern.«

Mein Vater lacht nicht. Er versinkt in den gestreiften Pupillen des Ziegenbocks vor ihm, der sich plötzlich auf die Hinterbeine erhebt, beinahe auf Augenhöhe mit ihm. Später werde ich die schwarze Schnauze mit grauen Streifen widerspenstigen Felles auf einem Gemälde meines Vaters wiederfinden, das mir noch als Halbwüchsiger Angst bereitet.

Teuflisch wirken die Hörner und die leeren Augen. Das Ziegengesicht, Tierhaftes gemischt mit menschlichen Zügen, ohne Hals und Leib, übergehend in Schatten, eine Hülle, die bereit ist, gefüllt zu werden.

Das lange Schweigen wird mir unbehaglich.

Ich verstreue den Rest des Brotes in einem Schwung.

»Lass mir noch was«, bittet mein Vater plötzlich, als ich die letzten Krumen verteile.

Ich blicke ihn verständnislos an.

»Hast du etwa Hunger?«

Er lacht schallend.

»Ist jetzt alles weg?«

»Ja.«

»Dann kaufen wir noch ein Brot im Restaurant.« Er klingt, als ob er keine Widerrede dulden würde.

»Wozu denn?«

Er schweigt. Er wendet sich von mir weg.

Ich weiß, dass sich der Gasthof tief im Inneren des Parks befindet und eine lange Wanderung die Allee entlang bevorsteht.

»Ich will auch wieder Ziegen füttern«, sagt er leise.

Seine Stimme klingt brüchig. »Komm schon, Mischka.«

Ich setze mich demonstrativ auf eine der Holzbänke und scharre mit meinen Schuhen über den Staub der Straße.

»Mischka, du faule Nuss. Ich erzähl dir was unterwegs. Von Ziegen und Menschen.«

Ich folge ihm.

»Von einem Jungen.«

»So?«

»Ja. Von einem Jungen, der einen Igel hatte und ein Ferkel und Ziegen.«

Ich hole auf.

»Wer war das?«

»Ein Junge, der am Land gelebt hat. Der Bauer oder Zimmermann hätte werden sollen. Wie seine Eltern.«

Wir schlendern die Allee entlang.

»Ich. Ich war das.«

Die Sonne brennt uns senkrecht von oben auf die Köpfe, der Tag liegt noch vor uns.

Wir vertiefen uns immer weiter in die kühleren Bereiche des Lainzer Tiergartens und in Levs Vergangenheit, Schritt für Schritt weg von meiner Kindheit hin zu seiner.

Ich habe mir bis gerade eben gar keine Gedanken darüber gemacht, wa