1. KAPITEL
Vielleicht lag es ja daran, dass bald Weihnachten war und dass das schneidend kalte Wetter sie ganz durcheinanderbrachte. Oder vielleicht lag es daran, dass sie einfach genug hatte. Aber etwas musste sich ändern. Etwasmusste sich ändern.
Angie betrachtete ihre zitternden Finger, als seien es die Finger einer anderen Frau. Aber keineswegs! Diese gepflegten, unlackierten Nägel waren ihre eigenen. Wie töricht sie doch war! Mit großer Leere im Herzen verzehrte sie sich nach einem Mann, der für sie unerreichbar bleiben würde. Der sie nicht einmal als Vertreterin des anderen Geschlechts wahrnahm. Und der sie schlechter behandelte als seine PS-starken Autos.
Dabei war sie wahrhaftig kein lebloser Gegenstand. Sie war eine Frau aus Fleisch und Blut mit ihren eigenen Sehnsüchten, die wohl niemals in Erfüllung gehen sollten. Sie musste ihn verlassen – siemusste es einfach tun. Denn wenn sie nicht aufpasste, würde sie ihr gesamtes Leben mit der Liebe zu einem Mann vergeuden, der diese Liebe niemals erwidern konnte.
Und früher oder später würden sich ihre Träume zerschlagen, wenn er sich schließlich eine passende Frau zur Braut nahm. Eine dieser Schauspielerinnen oder Models, mit denen er im Laufe seines so aufregenden Lebens ausgegangen war.
Riccardo Castellari war Angies Chef – und der Mann, um den so ziemlich all ihre Gedanken kreisten. Nun ja, nicht mehr lange, denn gleich nach Neujahr würde sie sich nach einer neuen Arbeitsstelle umsehen. Hauptsache weit weg von dem schwarzäugigen Italiener, der allein mit der Andeutung seines trägen Lächelns eine Frau in Ohnmacht fallen lassen konnte.
Auch wenn er in letzter Zeit wenig gelächelt hatte. Seine Stimmung war düster gewesen, und sein reizbares Gemüt schien noch strapazierter als ohnehin schon. Ungewöhnlich, fand Angie, aber sie war sich nicht sicher, warum.
„Jetzt sei mal ein bisschen fröhlich, Angie! Bald ist doch Weihnachten.“
Die Worte von Juniorsekretärin Carol drangen in ihre Gedanken und zauberten ein unbeabsichtigtes Lächeln auf Angies Gesicht. „Ja, da hast du recht“, stimmte sie zu und sah sich im Gemeinschaftsraum um.
Weihnachten stand vor der Tür, und die sonst stilvoll eingerichteten Büroräume von Castellari International waren nun verziert mit allerlei Adventsschmuck. Kurz nach Eröffnung der Londoner Zentrale seines höchst erfolgreichen Weltkonzerns hatte Riccardo aus Gründen des guten Geschmacks jegliche Flittergirlande verboten.
Doch ganz allmählich, nachdem Jahr für Jahr ein bisschen mehr Weihnachtsdekoration hinzugekommen war, hatte er dem Mehrheitswunsch nachgegeben. In diesem Jahr sah der Gemeinschaftsraum aus, als hätte der Weihnachtsmann persönlich ihn eingerichtet.
Glitzernder Flitter in Silber, Gold, Rot und Grün war großzügig über alle möglichen Bilderrahmen und Türpfosten geworfen worden, und Lichterketten schmückten die Faxgeräte.
Das Café unten an der Ecke spielte von morgens bis abends rührselige Weihnachtslieder, und erst gestern hatte die Heilsarmee auf dem Vorplatz gestanden und so schön gespielt, dass Angie Tränen in die Augen geschossen waren. Mit einem Kloß im Hals hatte sie aus ihrer Handtasche einen zerknitterten Fünfpfundschein hervorgeholt.
Ja, Weihnachten stand vor der Tür. Aber war das nicht Teil des Problems – und der Grund dafür, dass sie emotional so labil war? Denn zu Weihnachten war die Welt wie verwandelt. Mit einem Mal kristallisierten sich Hoffnungen und Träume heraus, Sehnsüchte und Ängste. Und egal, ob man es wahrhaben mochte: Zu Weihnachten erkannte man plötzlich, was man im Leben vermisste.
„Freust du dich schon auf die Weihnachtsfeier heute Abend?“, fragte Carol.
Angie verzog mit gespieltem Entsetzen das Gesicht. „Machst du Witze?“
Carol sah sie aufmerksam an. „Und wie läuft das so ab? Alle sagen, es