1. KAPITEL
Regen prasselte herab, und jeder neue Windstoß peitschte ihr Wasser ins Gesicht. Trotzdem fiel es Sadie nicht schwer, den Weg zu dem Bürogebäude zu finden, in dem sie schon früh am Morgen einen Termin hatte. Seit sie aus der U-Bahn-Station gekommen war, schienen ihre Füße wie von selbst die richtige Richtung zu kennen.
Zum ersten Mal seit Jahren war sie wieder in dieser Gegend, aber noch immer erschien ihr hier alles sehr vertraut. Damals wäre sie mit dem Taxi gekommen oder sogar in einem Wagen mit Chauffeur. Dieser hätte sie natürlich direkt vor der Tür abgesetzt und wäre ihr auch noch beim Aussteigen behilflich gewesen. Damals, als das Büro noch ihrem Vater gehörte. Aber dies war Vergangenheit. Jetzt befand sich hier die Geschäftszentrale des Mannes, dessen erklärtes Ziel es war, Sadies Familie zu ruinieren. Aus Rache dafür, wie man ihn behandelt hatte.
Es war ihm gelungen – vielleicht sogar gründlicher, als geplant.
Tränen mischten sich in die Regentropfen, die Sadie über die Wangen liefen. Während sie auf die gläsernen Eingangstüren zumarschierte, musste sie immer wieder blinzeln. Auf den Scheiben leuchtete in riesigen Goldlettern der NameKonstantos, und zwar genau dort, wo früher der Name ihres Vaters – ihrer Familie – zu lesen war. Schmerzhaft zog sich ihr der Magen zusammen.
Würde es ihr jemals gelingen, dieses Gebäude zu betreten, ohne an ihren Vater zu denken? Seit einem halben Jahr war er nun tot, und der Mensch, der ihm alles genommen hatte, stand jetzt an der Spitze des Unternehmens, das ihr Urgroßvater aus dem Nichts aufgebaut und zu einem Imperium gemacht hatte.
„Nein, niemals!“, murmelte sie, warf ihre langen kastanienbraunen Haare in den Nacken und öffnete die Tür. Mit einem entschlossenen Ausdruck in den grünen Augen steuerte sie auf den Empfang zu. Die Absätze ihrer Pumps ließen jeden Schritt auf dem Marmorfußboden des Foyers widerhallen.
„Nein!“, flüsterte sie wieder.
Niemals würde sie es den bitteren Erinnerungen erlauben, die Gegenwart zu überschatten und ihre hart erkämpfte Entschlossenheit ins Wanken zu bringen. Sie hatte sich vorgenommen, in die Höhle des Löwen zu gehen, und nichts würde sie aufhalten. Es war ihre letzte Chance. Sie würde ihn bitten – wenn es sein musste, sogar auf Knien anflehen –, ihnen noch diesen einen Aufschub zu gewähren. Es wäre nicht auszudenken, wie es sonst weiterginge. Nicht nur für Sadie selbst, sondern auch für ihre Mutter und ihren kleinen Bruder. Eine Schwäche konnte sie sich jetzt einfach nicht leisten.
„Ich habe einen Termin mit Mr. Konstantos … Nikos Konstantos“, teilte sie der Empfangssekretärin mit.
Sie hoffte, das Zittern in ihrer Stimme würde nicht verraten, wie schwer es ihr fiel, diesen Namen auszusprechen. Seinen Namen. Den Namen des Mannes, den sie einst bedingungslos geliebt hatte. Den Namen, der beinahe auch ihrer geworden wäre – für immer. Zumindest hatte sie das geglaubt, bis ihr schmerzlich klar wurde, dass sie nur eine Schachfigur in einem Machtspiel war – eine