1. KAPITEL
„Beug dich etwas weiter vor … ja, genau so!“
Kaliq presste die Lippen zusammen und widerstand dem Drang, den Mann mit der beginnenden Glatze hinter der Kamera k. o. zu schlagen. Dass er sich so beherrschen musste, wunderte ihn selbst, denn eigentlich hatte er mit diesem Anblick gerechnet.
Er stand unbeobachtet ein wenig abseits und folgte dem lüsternen Blick des Fotografen. Ja, er erkannte sie gleich wieder, und sofort flammte Verlangen in ihm auf. Sie war wirklich die Versuchung in Person.
Vor einem künstlichen Feuer lag sie in lasziver Pose ausgestreckt und machte einen Schmollmund. Das glitzernde goldene Teil, das sie trug und das in seiner Heimat Qwasir höchstens als Moskitonetz durchgegangen wäre, bedeckte nur notdürftig ihre vollen Brüste und endete weit oberhalb der Knie. Noch nie hatte er etwas gesehen, das seinen geheimsten Fantasien gleichzeitig so nahe kam und so fern war.
Während die heißen Studioscheinwerfer auf ihre gebräunte Haut und ihre rotbraunen Locken hinabbrannten, hätte er angesichts der Ironie der Situation beinah laut gelacht. Was hatte sie noch gesagt? Dass sie die Freiheit brauchte, ihr Leben – anders als er – nicht im Rampenlicht zu verbringen. Was für eine Doppelmoral, dachte er, als er das Logo auf dem überdimensionalen Parfümflakon betrachtete. Dieser war eigentlich das wichtigste Requisit bei dem Fotoshooting, doch das ganze Interesse konzentrierte sich auf die junge Frau.
Auf seiner Reise zur Pariser Botschaft von Qwasir im vergangenen Monat hatte er zum ersten Mal einen flüchtigen Blick auf ein Werbeplakat mit dem verlockenden Bild einer Frau erhascht, die ihm so vertraut und fremd zugleich erschien. Dann waren jene so unschuldig wirkenden Augen und rosigen Lippen überall aufgetaucht, und die Nachforschungen seines engsten Beraters hatten seine Vermutungen bestätigt. Es handelte sich tatsächlich um Tamara Weston. Noch nie zuvor war er so wütend gewesen.
Allerdings hätte er sich das denken können. Schon vor sieben Jahren bei ihrem Besuch in seinem Land war sie für ihr Alter ungewöhnlich temperamentvoll und forsch gewesen. Die Unschuld, die sie ausstrahlte, hatte sie ebenso unwiderstehlich gemacht wie ihre Schönheit. Verächtlich verzog Kaliq den Mund. Was mochte sie veranlasst haben,dies hier gegen all das zu tauschen, was er ihr angeboten hatte? War die Vorstellung, ihren Körper nur einem Mann zu schenken, nicht aufregend genug gewesen? Oder hatte sie doch das Rampenlicht gesucht?
Egal, sagte er sich, während er sich lässig an den Türrahmen lehnte. Er konnte die Zeit nicht zurückdrehen, aber diesmal würde er Tamara keine Wahl lassen.
Während Henry eine weitere Anweisung gab und dabei anzüglich lächelte, ließ Tamara ihre Gedanken schweifen. Was würde er wohl für ein Gesicht machen, wenn sie sich noch weiter vorbeugte?
Ignoriere ihn einfach, sagte sie sich dann, denn sie wusste selbst nicht, warum sie sich sein Verhalten an diesem Tag so zu Herzen nahm. Jeder Job hatte seine Schattenseiten. In den letzten Jahren hatte sie mehr Aufträge angenommen, als sie zählen konnte, und da sie glücklicherweise nur selten mit ihm zusammenarbeitete, musste sie sich eingestehen, dass das Modeln doch mehr schöne Seiten hatte, als sie sich je hätte träumen lassen. Allerdings wäre sie vorher auch nie auf die Idee gekommen, es zu ihrem Beruf zu machen. Obwohl sie einen Meter achtzig maß und den schlanken Körperbau und die ebenmäßigen Züge von ihrer Mutter geerbt hatte, hatte sie sich immer nur allenfalls für durchschnittlich gehalten. Und nachdem man die Scheidung ihrer Eltern in den Medien derart breit getreten hatte, hatte sie auch nie den Wunsch verspürt, einen Beruf zu ergreifen, mit dem man im Rampenlicht stand. Als ihre Kommilitonin Lisa sie allerdings bat, in ihrer ersten selbst entworfenen Kollektion zu posieren, sagte sie ihr zuliebe zu. Nachdem Lisa damit den großen Durchbruch geschafft hatte, kam dann der Kosmeti