1. KAPITEL
Ein Samstagnachmittag im späten Frühling. Oktober in der südlichen Hemisphäre. Strahlender Sonnenschein. Tiefblauer Himmel. Liebliches Gezwitscher unzähliger Vögel, versteckt im kühlen Laubdickicht der Bäume.
Vor der schönen alten St.-Cecilia-Kathedrale hielt eine weiße Limousine – eine von vielen, in denen die Gäste zur „Hochzeit des Jahres“ vorfuhren. Als Überschrift war „Hochzeit des Jahres“ ziemlich abgenutzt, aber Zara Fraser, Kolumnistin für Gesellschaftsklatsch bei derWeekend Mail, benutzte sie auf Befehl ihres Chefs, eines Golfpartners von Sir Clive Erskine, des Großvaters der Braut. Und nicht nur deshalb. Sie wusste auch, dass es mühsam gewesen wäre, eine bessere Schlagzeile zu finden, denn die Hochzeit war zweifellos ein bedeutendes gesellschaftliches Ereignis.
Fast jeder, der auf der Gästeliste der Braut stand, war schwerreich. Auf der des Bräutigams dagegen fanden sich die üblichen jungen Staranwälte mit ihren herausgeputzten Partnerinnen – Normalbürger, die sich mit Kindern und Hypothekenzinsen herumschlugen und um ihr Auskommen kämpften.
Die Eltern des Bräutigams befanden sich auf einer Kreuzfahrt durch die Antarktis und konnten nicht teilnehmen. Man munkelte, dass sie die Reise absichtlich zu diesem Zeitpunkt angetreten hatten, weil ihr einziger Sohn sich nicht an die gesellschaftlichen Spielregeln hielt, die sie ihm beigebracht hatten. Nur wer diese Regeln beachtete, kam unbeschadet durchs Leben. Was Sean Sinclair sich am heutigen Tag erlaubte, konnte niemand gutheißen. Man verurteilte ihn allgemein und unterstellte ihm die niedersten Beweggründe.
Zweihundert Personen waren zu der Trauung eingeladen worden, und zweihundert und eine waren erschienen. Fast noch einmal so viele hatten eine Einladung für den anschließenden großen Empfang erhalten.
Der äußere Rahmen glich einer Idylle. Jacarandas, Goldregen und Kassien blühten, und der Anblick ihrer verschwenderischen Farbenpracht ließ das Herz höher schlagen. Eine besonders schöne, von Rasen eingefasste Jacaranda mit lavendelblauen Blüten beherrschte den Vorplatz der im gotischen Stil erbauten Kirche, die wegen ihrer hohen Bögen, schlanken Säulen und mittelalterlich anmutenden Marmorkanzel viel bewundert wurde. Die großen Rondelle auf beiden Seiten des Hauptschiffs, das nur scheinbar von Strebepfeilern gestützt wurde, quollen über von duftenden hellroten Rosen. Ein Bilderbuchrahmen für eine Bilderbuchhochzeit, doch mindestens eine Person – die nicht eingeladene – empfand alles wie einen fürchterlichen Albtraum.
Sie stieg so anmutig aus der weißen Limousine, dass sie zu schweben schien. Dabei ergriff sie flüchtig die Hand des livrierten Chauffeurs, der ihr die Wagentür aufhielt und dessen Miene verriet, wie glücklich er sich schätzte, für diesen besonderen Auftrag ausgewählt worden zu sein. Die junge Frau sah hinreißend aus. Sie war groß und überaus schlank, eine Vision weiblicher Grazie und vollkommener Schönheit. Ohne nach rechts oder links zu blicken, schritt sie in ihren eleganten Stilettos die wenigen Stufen zum Kirchenportal hinauf.
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