2. KAPITEL
„Vermutlich hat Ihr Bruder Ihnen schon die meisten Sehenswürdigkeiten gezeigt, die man als Tourist absolviert haben muss?“, fragte Theo, als sie die Piazza verlassen hatten und mit etwas Abstand zueinander gemächlich nebeneinander hergingen.
„Die eine oder andere“, antwortete Lily. „Sam und sein Geschäftspartner Federico arbeiten sehr hart, weshalb er kaum Zeit hat. Doch tut er sein Bestes, sich immer wieder ein paar Stunden freizumachen, wenn ich hier bin. Und ich bin es gewohnt, allein zurechtzukommen. Es ist einfach schön, ihn dann und wann zu besuchen, mit ihm zusammen zu sein und sich über die Vergangenheit auszutauschen.“ Ob es ihnen je gelingen würde, sich über all die Jahre auszutauschen, in denen sie nicht gewusst hatten, dass es den anderen überhaupt gab?
„Es ist schon ziemlich spät, und ich werde langsam hungrig“, sagte Theo, nachdem sie ein Weilchen schweigend spaziert waren. „Wie wär’s, wenn Sie mich das Restaurant aussuchen ließen? Sie werden bestimmt nicht enttäuscht sein.“
„Ich bin mit allem einverstanden.“
„Mir schwebt ein Lokal vor, in dem man exzellent speist und zugleich eine wunderbare Sicht auf die Stadt hat“, erklärte er und hatte nicht zu viel versprochen, wie Lily kurz darauf feststellte.
Von der Dachterrasse aus bot sich ihr ein herrliches Panorama, und das Essen war fantastisch. Sie hatte das Gefühl zu träumen, während sie diesem attraktiven Mann, der die Blicke der Frauen wie magisch anzuziehen schien, am Tisch gegenübersaß. Er könnte für BerninisApollon Modell gestanden haben, dachte sie und lächelte flüchtig, als sie sich ein weiteres Stück von dem köstlichen Saltimbocca abschnitt.
„Sie trinken also keinen Alkohol?“ Theo legte das Besteck aus der Hand, um ihr Wasser nachzuschenken. Dann tupfte er sich den Mund mit der Serviette ab und hob das Glas mit dem Rotwein an die Lippen, den er sich zum Schwertfisch bestellt hatte.
„Nur selten.“ Und vor allem nicht, wenn ich mich in fremder Gesellschaft befinde, fügte sie in Gedanken hinzu. Schließlich kannte sie Theo nicht wirklich. Bei Sam war es etwas anderes. Er war der einzige Mann, in dessen Nähe sie sich je völlig frei und unbefangen hatte fühlen können.
Nachdem Theo fertig gegessen hatte, betrachtete er Lily verstohlen, die sich noch die letzten Bissen genüsslich in den Mund schob. Sie machte einen sehr sympathischen Eindruck und war ausgesprochen hübsch. Die welligen blonden Haare schimmerten seidig, und ihr sonnengebräunter Teint war makellos. Da sie den Blick gesenkt hielt, fielen ihm ihre langen, dichten Wimpern auf.
Er schluckte und nahm schnell sein Weinglas. Sie strotzte nicht gerade vor Selbstbewusstsein, doch spürte man ihre innere Stärke. Außerdem wirkte sie vertrauenswürdig und zurückhaltend, nicht schüchtern, aber keineswegs mitteilsam. Und ihr Bruder bedeutete ihr offenbar sehr viel, denn sie s