1. KAPITEL
Zuerst kamen die großen cremeweißen Kamelien. Die junge Frau im Krankenbett registrierte verschwommen, wie schön sie aussahen, aber es war ihr gleichgültig, wer die Blumen geschickt oder vielleicht persönlich vorbeigebracht hatte.
Am Tag darauf erhielt sie einen Korb mit saftigen dunkelblauen Weintrauben, auf deren glänzender Schale sich das Sonnenlicht brach. Dann wurde eine mit Seide bezogene Bonbonniere abgegeben, die mit einer dunkelroten Schleife verziert war. Diesmal fühlte sich die Patientin kräftig genug, um nach der kleinen gedruckten Karte zu greifen, die an der Schleife befestigt war.
San Devilla.
Die junge Frau formte die Worte mit den Lippen nach, doch sie ergaben keinen Sinn für sie. War es der Name eines Hauses? Wohnte sie selber dort, oder gehörte es einem Freund? Dann musste es sich um den freundlichen Menschen handeln, der ihr die Blumen, das Obst und die erlesenen Pralinen geschickt hatte.
Eine Schwester kam herein, und die junge Frau bot ihr an, von dem Konfekt zu kosten. „Sie sind zu liebenswürdig, Señora.“ Die Schwester betrachtete die köstlichen Süßigkeiten mit leuchtenden Augen. „Man traut sich kaum, etwas davon zu nehmen, und andererseits ist es unmöglich zu widerstehen.“
Die Patientin musterte die Schwester, sie bemerkte die dunklen Augen und das schwarze Haar unter dem weißen Häubchen. „Wo bin ich?“, fragte sie zum ersten Mal. „Und … wer bin ich?“
„Sie befinden sich in einem Krankenhaus in Córdoba.“ Die Schwester lächelte und wählte eine Praline mit rosa Zuckerguss, die sie anmutig und mit sichtlichem Genuss verzehrte.
„Córdoba?“
„Die Stadt in Südspanien, Señora. Erinnern Sie sich nicht?“
„Kein bisschen.“ Die junge Frau hob ihre linke Hand, konnte aber keinen Ring entdecken. „Warum nennen Sie mich Señora? Bin ich verheiratet?“
„Allerdings“, versicherte die Schwester. „Betrachten Sie Ihre andere Hand.“ Als sie merkte, wie schwach ihre Patientin noch war, trat sie ans Bett, hob die schlanke Rechte an und hielt sie in den Sonnenstrahl, der durch einen Spalt der Jalousie hereinfiel. Die junge Frau erkannte einen schimmernden Goldreif mit einem tiefblauen Edelstein.
Ein ängstlicher Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. Ihr Herz begann zu hämmern, und das Atmen wurde ihr schwer. Sie starrte auf den Ring, ohne eine Ahnung davon zu haben, dass ihre Augen genauso blau und leuchtend waren wie der kostbare Saphir, der ihn zierte. Ebenso wenig war sie sich ihrer fein geschnittenen Gesichtszüge, ihrer vollen Lippen und ihres langen blonden Haars bewusst, in das das Sonnenlicht goldene Reflexe zauberte. Ihre beinahe durchscheinende Blässe verlieh ihren Zügen einen ganz eigenen Reiz.
Der Blick der jungen Frau hing wie gebannt an dem Trauring, dann verzogen sich ihre Lippen wie in plötzlichem Schmerz, so als habe etwas Unerträgliches den Nebel in ihrem Bewusstsein durchdrungen. Wie von selbst schloss sich ihre Hand zur Faust, so fest, dass die Knöchel weiß unter der zarten Haut hervortraten.
„Warum trage ich den Ring an der rechten Hand?“ Es schien die Patientin nicht zu wundern, dass sie praktische Dinge wahrnahm, obwohl ihr alle persönlichen Erinnerungen fehlten.
„Ihr Mann ist Spanier, Señora. Es ist so Sitte in diesem Land.“