DieSäkularisierung staatlicher Macht war eine angemessene Antwort auf die Religionskriege und Konfessionskriege der frühen Neuzeit. Mit zunehmender Unabhängigkeit von geistlichen Autoritäten war es dem Staat möglich eine konfessionell gespaltene Gesellschaft zu befrieden und Sicherheit zu stiften. Erst dadurch wurde es einer Regierung möglich eine graduelle rechtliche Übertragung an religiöse Minderheiten vorzunehmen. Zunächst wurde den gläubigen Minoritäten die Freiheit eingeräumt „[…] überhaupt einer anderen Glaubensrichtung anzuhängen als der etablierten Kirche (also Glaubensfreiheit), danach die Freiheit, ihren Glauben öffentlich zu bekennen (Bekenntnisfreiheit), und schließlich auch das Recht, ihre abweichenden religiösen Überzeugungen in aller Form zu praktizieren (freie Religionsausübung).“[41] Der säkulare Charakter eines Staates ist aber noch keine hinreichende Bedingung dafür, allen religiösen Minderheiten gleiche religiöse Freiheitsrechte zu garantieren. Vielmehr benötigt eseinen liberalen Staat, der Religionsfreiheit als Menschenrecht gewährleistet. Zudem muss eine unparteiische Anwendung des Toleranzprinzips über jeden Verdacht erhaben sein. Deshalb reicht die Unterordnung der säkularen Staatsgewalt unter der Herrschaft des Rechts (also der Rechtsstaat) nicht aus. Zwingende Gründe für die Definition dessen, was im Einzellfall toleriert werden soll oder nicht zu dulden ist, lassen sich durchein demokratisches Verfahren ermitteln.[42] Demokratie bedarf nicht nur der Bereitschaft ihrer Bürger die Gesetze zu befolgen, sondern darüber hinaus die Anerkennung der Verfassung. Letzteres kann nicht gesetzlich erzwungen werden, vielmehr muss es auf guten Gründen und Überzeugungen basieren und in der inneren Gesinnung wurzeln schlagen. Jürgen Habermas betont den Wesenszug eines demokratischen Staatsbürgerethos bezüglich anspruchsvoller Erwartungen gegenüber gläubigen Menschen und religiösen Vereinigungen. Denn die Vereinnahmung säkularer Legitimation des Gemeinwesens müsste unter Prämissen des eigenen Glaubens vollzogen werden.[43] Da Säkularer Staat, Liberalismus und Demokratie dieKernstruktur der freiheitlich demokratischen Grundordnung darstellen, wird dadurch wiederum die Frage nach den Chancen der Verinnerlichung dieser Prinzipien im Islam angestoßen.
Der Islam insgesamt hat nicht jene Prozesse durchgemacht, die in Europa Werten wie Selbstbestimmung, individueller Freiheit und Religionsfreiheit zum Durchbruch verholfen haben. Veränderungen im Islam basieren auf keinem schmerzhaften Lernprozess wie er sich im Laufe der vernunftrechtlichen Tradition von Locke über Rousseau bis zu Kant entwickelt hat. Er wurde stattdessen vielfach nur äußerlich modernisiert. Dies zeigt sich unter anderem dadurch, dass - vor allem in traditionellen Milieus - die Bestimmungen derŠarīÞa die Lebensformen und Verhaltensweisen der muslimischen Gläubigen prägen. Da in Deutschland das staatliche Zivilrecht dem islamisch- religiösem vorsteht, steht der Gesetzgeber deshalb vor der Aufgabe den Islam in Deutschland für die Werte des Grundgesetztes zu sensibilisieren. Einen ersten Schritt stellt dabei die - durch den deutschen Innenminister Wolfgang Schäuble initiierte -Deutsche Islam Konferenz[44] (DIK) dar. Dem Innenministerium zu Folge ist das Ziel der DIK „eine verbesserte religions- und gesellschaftspolitische Integration der muslimischen Bevölkerung in Deutschland, [um] gewalttätigen Islamismus, Extremismus [und] der Segregation von Muslimen in Deutschland entgegen zu wirken.“[45] Aus Betrachtung der rechtlichen Perspektive soll im Verlauf der DIK erörtert werden, „wie unterschiedliche religiöse Sitten und Gebräuche des Islam in Einklang mit der deutschen Verfassungsordnung gebracht werden können, ob und wie der Islam (als Religion ohne Kirche) den Organisationserfordernissen des deutschen Religionsverfassungsrechts gerecht werden kann und wie die über viele Jahrhunderte deutsche Verfassungs- und Rechtsordnung zur Entwicklung eines modernen, deutschen Islam beitragen kann.“[46]
Den angesprochenen, rechtlich omnipräsenten Zustand des deutschen Religionsverfassungsrechts gilt es nunmehr aufzugreifen, um den Gegenstand des Konfliktes„islamischer Tradition im deutschen Rechtsstaat“ und die daraus resultierenden Herausforderungen zu verdeutlichen.
Wie bereits im Kapitel 2.4 erörtert wurde, ist ein Neutralitätsgebot des Staates verpflichtend, um ein friedliches Miteinander zu gewährleisten, wodurch alle Religionen verfassungsrechtlichen Schutz genießen. Andererseits muss aber Rechtstr