: Christian Müller-Thomas
: Muslime in der Diaspora Leben zwischen islamischer Normenlehre und nicht-islamischem Staatsrecht am Fallbeispiel der islamischen Charta des Zentralrats der Muslime in Deutschland e.V.
: Grin Verlag
: 9783638070201
: 1
: CHF 17.20
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: Sonstiges
: German
: 49
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF/ePUB
Studienarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Jura - Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie, Rechtsgeschichte, Note: 1,7, Friedrich-Alexander-Universit t Erlangen-Nürnberg (Juristische Fakultät), Veranstaltung: Islamische Normenlehre, Sprache: Deutsch, Abstract: Besteht die Notwendigkeit einer innerislamischen Neuorientierung oder wird die ?ar?Þa den rechtsstaatlichen Vorgaben gerecht ohne dass unsere muslimischen Mitbürger Gefahr laufen ihre eigene Identität aufgeben zu müssen? Welche Möglichkeiten stehen überhaupt den in Deutschland organisierten Verbänden zur Verfügung, um eine adäquate Umsetzung ihrer Ziele verfolgen zu können? Auf dem Fundament einer grundlegenden Betrachtung von Entwicklung, Struktur und Wesen der ?ar?`a muss eine Analyse vorgenommen werden, die sich näher mit der islamischen Normenlehre im Verhältnis auf ihre Gültigkeit für Muslime in einem nicht-islamischen Land beschäftigt. Denn der Islam ist in seiner Rechtstradition hauptsächlich als ein Modell des Zusammenlebens von Muslimen und Nicht-Muslimen konzipiert. Dieses geht traditionell davon aus, dass die Muslime die herrschende Mehrheit darstellen, die politische Macht im Staat besitzen, die Gesetzgebung gestalten und die Rechtsprechung nach islamischen Recht und Gesetz besorgen. Da die religiöse Komponente in der Integrationsproblematik eine unentbehrliche Grundlage für notwendige politische Überlegungen über die Mittel und Wege zur Ermöglichung eines gedeihlichen Zusammenlebens zwischen deutscher Mehrheitsgesellschaft und muslimischer Minderheit stellt, beschäftigt sich diese Abhandlung mit der Frage nach der islamisch religiösen Legitimität eines dauerhaften muslimischen Aufenthalts in einem nicht-islamischen Staat. Da Muslime in der Diaspora den historischen Ursprung ihrer Handlungsanweisungen bezüglich des Umgangs mit nicht-islamischen Mehrheitsgesellschaften in der Auswanderung (Hi?ra) des Propheten Muhammads von Mekka nach Medina im Jahre 622 n. Chr. finden, bedarf es zunächst der Klärung des historischen Hintergrunds. Dies ermöglicht eine bessere Deutung der bestehenden Rechtsgrundlage. Im Zuge der Untersuchung werden dafür einschlägige Koran- und Had?thpassagen gesichtet. Anknüpfend an klassische Gutachten zu diesem Prüfungsgegenstand steht die islamische Charta im Blickfeld moderner Positionierungen islamischer Gelehrter Europas und traditioneller islamischer Gelehrter.

3. Religion im deutschen Recht


 

DieSäkularisierung staatlicher Macht war eine angemessene Antwort auf die Religionskriege und Konfessionskriege der frühen Neuzeit. Mit zunehmender Unabhängigkeit von geistlichen Autoritäten war es dem Staat möglich eine konfessionell gespaltene Gesellschaft zu befrieden und Sicherheit zu stiften. Erst dadurch wurde es einer Regierung möglich eine graduelle rechtliche Übertragung an religiöse Minderheiten vorzunehmen. Zunächst wurde den gläubigen Minoritäten die Freiheit eingeräumt „[…] überhaupt einer anderen Glaubensrichtung anzuhängen als der etablierten Kirche (also Glaubensfreiheit), danach die Freiheit, ihren Glauben öffentlich zu bekennen (Bekenntnisfreiheit), und schließlich auch das Recht, ihre abweichenden religiösen Überzeugungen in aller Form zu praktizieren (freie Religionsausübung).“[41] Der säkulare Charakter eines Staates ist aber noch keine hinreichende Bedingung dafür, allen religiösen Minderheiten gleiche religiöse Freiheitsrechte zu garantieren. Vielmehr benötigt eseinen liberalen Staat, der Religionsfreiheit als Menschenrecht gewährleistet. Zudem muss eine unparteiische Anwendung des Toleranzprinzips über jeden Verdacht erhaben sein. Deshalb reicht die Unterordnung der säkularen Staatsgewalt unter der Herrschaft des Rechts (also der Rechtsstaat) nicht aus. Zwingende Gründe für die Definition dessen, was im Einzellfall toleriert werden soll oder nicht zu dulden ist, lassen sich durchein demokratisches Verfahren ermitteln.[42] Demokratie bedarf nicht nur der Bereitschaft ihrer Bürger die Gesetze zu befolgen, sondern darüber hinaus die Anerkennung der Verfassung. Letzteres kann nicht gesetzlich erzwungen werden, vielmehr muss es auf guten Gründen und Überzeugungen basieren und in der inneren Gesinnung wurzeln schlagen. Jürgen Habermas betont den Wesenszug eines demokratischen Staatsbürgerethos bezüglich anspruchsvoller Erwartungen gegenüber gläubigen Menschen und religiösen Vereinigungen. Denn die Vereinnahmung säkularer Legitimation des Gemeinwesens müsste unter Prämissen des eigenen Glaubens vollzogen werden.[43] Da Säkularer Staat, Liberalismus und Demokratie dieKernstruktur der freiheitlich demokratischen Grundordnung darstellen, wird dadurch wiederum die Frage nach den Chancen der Verinnerlichung dieser Prinzipien im Islam angestoßen.

 

Der Islam insgesamt hat nicht jene Prozesse durchgemacht, die in Europa Werten wie Selbstbestimmung, individueller Freiheit und Religionsfreiheit zum Durchbruch verholfen haben. Veränderungen im Islam basieren auf keinem schmerzhaften Lernprozess wie er sich im Laufe der vernunftrechtlichen Tradition von Locke über Rousseau bis zu Kant entwickelt hat. Er wurde stattdessen vielfach nur äußerlich modernisiert. Dies zeigt sich unter anderem dadurch, dass - vor allem in traditionellen Milieus - die Bestimmungen derŠarīÞa die Lebensformen und Verhaltensweisen der muslimischen Gläubigen prägen. Da in Deutschland das staatliche Zivilrecht dem islamisch- religiösem vorsteht, steht der Gesetzgeber deshalb vor der Aufgabe den Islam in Deutschland für die Werte des Grundgesetztes zu sensibilisieren. Einen ersten Schritt stellt dabei die - durch den deutschen Innenminister Wolfgang Schäuble initiierte -Deutsche Islam Konferenz[44] (DIK) dar. Dem Innenministerium zu Folge ist das Ziel der DIK „eine verbesserte religions- und gesellschaftspolitische Integration der muslimischen Bevölkerung in Deutschland, [um] gewalttätigen Islamismus, Extremismus [und] der Segregation von Muslimen in Deutschland entgegen zu wirken.“[45] Aus Betrachtung der rechtlichen Perspektive soll im Verlauf der DIK erörtert werden, „wie unterschiedliche religiöse Sitten und Gebräuche des Islam in Einklang mit der deutschen Verfassungsordnung gebracht werden können, ob und wie der Islam (als Religion ohne Kirche) den Organisationserfordernissen des deutschen Religionsverfassungsrechts gerecht werden kann und wie die über viele Jahrhunderte deutsche Verfassungs- und Rechtsordnung zur Entwicklung eines modernen, deutschen Islam beitragen kann.“[46]

 

Den angesprochenen, rechtlich omnipräsenten Zustand des deutschen Religionsverfassungsrechts gilt es nunmehr aufzugreifen, um den Gegenstand des Konfliktes„islamischer Tradition im deutschen Rechtsstaat“ und die daraus resultierenden Herausforderungen zu verdeutlichen.

 

3.1. Deutsches Religionsverfassungsrecht


 

Wie bereits im Kapitel 2.4 erörtert wurde, ist ein Neutralitätsgebot des Staates verpflichtend, um ein friedliches Miteinander zu gewährleisten, wodurch alle Religionen verfassungsrechtlichen Schutz genießen. Andererseits muss aber Rechtstr