: Ulrike-Christine Sander, Matthias Siedenschnur-Sander
: Ulrike-Christine Sander, Matthias Siedenschnur-Sander
: Fontane zum Genießen Fischer Klassik PLUS
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104012261
: Fischer Klassik Plus
: 1
: CHF 3.00
:
: Anthologien
: German
: 175
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Theodor Fontane bezieht seinen Witz nicht allein aus einem humorvoll ungeschönten Blick auf die Realitäten gesellschaftlicher Wirklichkeit. Indem er seinen Figuren »nach der Schnauze redet«, entspringt die Komik auch aus dem Zusammentreffen von stilsicherer Hochsprache und Dialekt: »Bitte, kloppen Sie mir mal en bisschen, aber hier ordentlich ins Kreuz«. Ein genussvoller Streifzug durch Fontanes Gesamtwerk!

Meine Kinderjahre


Wie wir erzogen wurden – Wie wir spielten in Haus und Hof


Wie wir erzogen wurden? Ich habe diese Frage schon an mehr als einer Stelle gestreift und bin ihr namentlich im vorigen Kapitel, wo sich’s um die Schule handelte,[1] vergleichsweise nahe getreten. Indessen Erziehung und Schule, bei vielem was sie gemeinsam haben, sind doch auch wieder zweierlei; die Schule liegt draußen, Erziehung ist Innensache, Sache des Hauses und vieles, ja das Beste, kann man nur aus der Hand der Eltern empfangen. »Aus der Hand der Eltern« ist nicht eigentlich das richtige Wort, wie die Elternsind, wie sie durch ihr bloßes Dasein auf uns wirken, –das entscheidet. Es gibt unbestritten ausgezeichnete Schul- und Erziehungsanstalten, die, mit Rücksicht auf Charakterausbildung, vielfach erheblich mehr leisten mögen, als das elterliche Haus; aber in der Hauptsache bleibt doch ein Manko. Der Charakter mag gewinnen, der Mensch verliert. Es gibt so viele Dinge, die mit ihrem stillen und ungewollten, aber eben dadurch nur um so nachhaltigerem Einfluß erst den richtigen Menschen machen. Das große, mit Pflicht-, Ehr- und Rechtsbegriffen ausstaffierte Tugendexemplar ist unbedingt respektabel und kann einem sogar imponieren; trotzdem ist es nicht das Höchste. Liebe, Güte, die sich bis zur Schwachheit steigern dürfen, müssen hinzukommen und unausgesetzt darauf aus sein, die kalte Vortrefflichkeit zu verklären, sonst wird man all dieses Vortrefflichen nicht recht froh. Ich hatte das Glück, in meinen Kindheits- und Knabenjahren, unter keinen fremden Erziehungsmeistern – denn die Hauslehrer bedeuteten nach dieser Seite hin sehr wenig – heranzuwachsen und wenn ich hier noch einmal die Frage stelle »wie wurden wir erzogen«, so muß ich darauf antworten: »gar nicht und – ausgezeichnet«. Legt man den Akzent auf die Menge, versteht man unter Erziehung ein fortgesetztes Aufpassen, Ermahnen und Verbessern, ein mit der Gerechtigkeitswaage beständig abgewogenes Lohnen und Strafen, so wurden wir gar nicht erzogen; versteht man aber unter Erziehung nichts weiter, als »in guter Sitte ein gutes Beispiel geben« und im übrigen das Bestreben, einen jungen Baum, bei kaum fühlbarer Anfestigung an einen Stab, in reiner Luft frisch, fröhlich und frei aufwachsen zu lassen, so wurden wir ganz wundervoll erzogen. Und das kam daher: meine Eltern hielten nicht bloß auf Hausanstand, worin sie Muster waren, sie waren auch beide von einer vorbildlichen Gesinnung, die Mutter unbedingt, der Vater mit Einschränkung, aber darin doch auch wieder uneingeschränkt, daß ihm jeder Mensch ein Mensch war. Noch weit über seine Bonhommie hinaus, ging seine Humanität. Er war der Abgott armer Leute.

So waren die zwei Persönlichkeiten, die wir tagaus, tagein vor Augen hatten und wie man mit Recht gesagt hat, das Wichtigste für den physischen Menschen sei die Luft, drin er lebe, weil er aus ihr mit jedem Atemzuge Gesundheit oder Nicht-Gesundheit schöpfe, so ist für den moralischen Menschen das, was er von seinen Eltern sieht und hört, das Wichtigste, denn es ist nicht eine von glücklichen Zufällen abhängige, vielfach unfruchtbare Belehrung,