: Susanne Stein
: Der Löwe und die Königin Roman
: Verlagsgruppe Droemer Knaur
: 9783426559031
: 1
: CHF 6.50
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: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 460
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der große historische Roman über die Frau an der Seite von Richard Löwenherz! Berenguela, Prinzessin von Navarra, ist 25 Jahre alt, als sie erfährt, dass sie den englischen König Richard I. heiraten soll. Doch was andere Frauen ihrer Zeit glücklich machen würde, nämlich die Gattin des großen Frauenverführers zu werden, ruft bei ihr alles andere als Freude hervor. Denn Berenguela hat einen Traum: Sie möchte als Ärztin kranken Menschen helfen. Das Schicksal aber will es anders und führt sie an der Seite des Königs bis ins Heilige Land. Ganz allmählich kommen sich die so unterschiedlichen Eheleute näher ... Der Löwe und die Königin von Stein Susanne im eBook erhältlich!

Susanne Stein arbeitet seit über 20 Jahren als Journalistin für Frauenzeitschriften, und als freie Autorin. Sie hat Geschichte studiert, Schwerpunkt Mittelalter, und sich immer wieder mit historischen Stoffen beschäftigt.

Sie spürte, dass ihre Knie steif wurden, und stand auf, um das Blut in ihren Beinen wieder zum Fließen zu bringen. Ein Blick auf die Sonne zeigte ihr, dass sie bis zum Mittag noch ein paar Stunden Zeit hatte. Sie wunderte sich, warum Marie, ihre Vertraute und, mehr noch, ihre Lehrerin in der Pflanzenkunde, nicht kam. Normalerweise verbrachten sie die frühen Morgenstunden gemeinsam im Garten, und Marie lehrte sie verborgenes Wissen der weisen Frauen.

Berenguela runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen. Es fiel ihr schwer, Dinge in einer gewissen Entfernung klar zu erkennen, und sehr zu ihrem Unmut hatte bislang kein Kraut die Schwäche ihrer Augen heilen können. Manchmal kam es vor, dass sie meinte einen Reiter zu sehen, der aber in Wahrheit nur ein knorriger Baumstamm war. Vor allem in der Dämmerung erwies sich ihre Sehkraft als trügerisch, und mehrfach hatte sie in dem weitläufigen Innenhof der Palastanlage ihres Vaters den Gruß eines Ritters übersehen. Einige hielten sie daher für zerstreut, andere für überheblich. Alle waren sie jedoch übereinstimmend der Ansicht, dass Berenguela eine späte Jungfrau sei – mit Erde an den Händen und Staub in den Haaren.

Berenguela war zu klug, um die Blicke der Ritter und vor allem die der Frauen nicht deuten zu können. Natürlich wusste sie, dass eine Frau, die mit fünfundzwanzig Jahren immer noch unverheiratet war, irritiertes Tuscheln erntete. Doch da sie sich selbst für wenig bemerkenswert hielt und überdies gänzlich uneitel war, ertrug sie das Raunen der Damen und das Grinsen der Ritter mit Gleichmut.

Wenn sie in den Spiegel sah, fand sie ihr Gesicht zu schmal, um schön zu sein, ihr Haar eine Spur zu dunkel und ihre Lippen zu voll. Sie hatte eine kleine Falte über der Nasenwurzel, und ihre Augen waren von einem so tiefen Braun, dass sie schwarz schienen. Ihre Stirn wölbte sich hoch und klar, ein Denkergesicht nannte es ihr Bruder Sancho, der denselben Namen wie ihr Vater trug, und dies war keinesfalls als Schmeichelei gemeint. Berenguela war groß und schmal, die meisten Frauen am Hof ihres Vaters überragte sie zwei Finger breit. Die »Kräuter-Prinzessin« hatte Sancho sie vor vielen Jahren genannt, und dieser Name war sehr zum Verdruss ihrer Eltern an ihr haftengeblieben.

Berenguela blieb lauschend stehen. Sie meinte Marie gehört zu haben, doch der Wind trug lediglich das Hämmern und die Rufe der Steinmetze zu ihr. Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht und glättete ihre Stirn. Überall im Land wurde gebaut. Kapellen und Kirchen wuchsen in jedem Ort, Herbergen entstanden, in den Dörfern zimmerte man neue Häuser aus Holz, und in den Städten errichtete man Paläste aus Stein. Berühmte Baumeister reisten nach Navarra, Steinmetze wurden angeworben und gut bezahlt, Künstler strömten ins Land in der Hoffnung auf Ansehen und Reichtum.

Berenguela bewunderte den Scharfsinn ihres Vaters, der einen großen Anteil an dem wirtschaftlichen Erblühen Navarras hatte. Einer der Wege nach Santiago de Compostela zum Grab des heiligen Jakob führte durch Navarra, und Berenguelas Vater, König Sancho, genannt der Weise, war seinem Ruf, ein umsichtiger Herrscher zu sein, ein weiteres Mal gerecht geworden. Er ließ den Jakobsweg vor Räubern und Wegelagerern schützen und versprach allen Pilgern sicheres Geleit. Infolgedessen war der Str