Ein Concierge weiß alles
Am nächsten Tag bin ich um neun Uhr früh mit Julie Saunders verabredet, sie ist Concierge imFour SeasonsHotel in Washington. Das hier ist ein Handyfoto von ihr. Hab ich von den meisten meiner Gesprächspartner gemacht. Seit ich Reporter bin und unterwegs in der Welt, gehe ich immer auch zu den Concierges in die Grandhotels, wenn ich mal hören will, was gerade los ist in einer Stadt: wer da ist, worüber geredet wird – auch in den Hinterzimmern, wie die Geschäfte gehen, was angesagt ist, eben wie die Stadt gerade so tickt. In Wien bin ich beispielsweise während meiner Zeit als dortiger Korrespondent immer mal wieder auf einen Plausch zum Concierge vomHotel Sacher gegangen. Es gab nichts, was der nicht gewusst hätte. Ein guter Concierge in einem Grandhotel weiß nicht nur alles, er kann auch alles organisieren. Das ist sehr rätselhaft, und praktisch und kann nur zum Teil gelernt werden. Denn ein Concierge ist nicht nur freundlich, er hat Persönlichkeit und Autorität und meist auch schon die Welt gesehen. Und er kennt sich mit den Merkwürdigkeiten der Menschen aus. Denn obwohl der Gast beim Einchecken seine Adresse und Kreditkartennummer angibt, fühlt er sich im Hotel paradoxerweise irgendwie anonym und glaubt, dort Dinge tun zu können, die ein bisschen verboten sind. Pornos gucken, Drogen nehmen, Zwangsprostituierte aufs Zimmer bestellen, Bademäntel klauen. Ein guter Concierge ist also immer ein guter und weiser Gesprächspartner. Ich kann das jedenfalls nur empfehlen. Übrigens fahre ich auch durch jede neue Stadt einmal mit dem Doppeldecker-Touri-Bus – ebenfalls sehr zu empfehlen. Ich weiß, man will kein Touri sein, aber für den groben Überblick und ein erstes Gefühl ist das wirklich praktisch. Vorsicht nur in San Francisco: Dort gibt es mehrere Betreiber, die alle nebeneinander am Union Square sind. Auf keinen Fall den blauen Bus von denSuper Sightseeing Tours nehmen! Die Fahrzeuge sind zwar tipptopp, aber die Tourguides sind furchtbar, und die Busse halten an den ganz falschen Stellen.
Julie ist um die40. Sie hat sehr schöne grünblaue Augen, die hinter einer mit Strass besetzten Sekretärinnenbrille glänzen, die man wiederum gar nicht vermisst, wenn sie sie abnimmt. Sie hat aber eine ganz unamerikanisch angenehme Frauenstimme. Denn bei vielen ihrer Landsmänninnen gehen die Stimmen am Schluss des Satzes immer hoch, so als sei da ein Fragezeichen am Ende? Julie klingt vielmehr ein wenig verschwörerisch, so dass jede Information eine große Aura von Exklusivität umgibt. In Amerika gibt es übrigens inzwischen vermutlich mehr weibliche als männliche Concierge weil sie bessere Teamplayer sind. Die männlichen Concierges in europäischen Grandhotels sind dagegen oft kleine Ich-AGs hinter ihrem Schalter. Zum Beispiel auch imHotel Atlantik, wo sich Udo Lindenberg sein ganzes chaotisches Leben organisieren lässt.
Julie ist seit1983 in Washington. Die erste Inauguration, die sie miterlebt hat, war die zu Ronald Reagans zweiter Amtszeit1984.
»Dieses Mal war es anders, als alles, was ich erlebt habe. Das ganze Ambiente war anders, die Menschen waren so aufgeregt, ich habe nie so eine freudige Erwartung gesehen, so eine positive Einstellung, so eine großzügige Stimmung, so eine Freundlichkeit. Es war großartig, großartig! Man spürte, da hat sich gewaltig etwas verändert. Und auch wenn die Dinge inzwischen wirtschaftlich schwierig geworden sind, nicht nur hier, weltweit, in Washington wird das doch ein bisschen abgefedert, weil Washington eben ist, was es ist, eine politische Stadt, an der kein Weg vorbeiführt. Die Leute müssen nach Washington kommen, die Regierung um Geld bitten und ihr Lobbying hier betreiben. Neulich sagte ei