Major Shepston besaß einen ziemlich geräumigen Wagen. Da er von seiner Verwundung im Kriege eine Schwäche des rechten Armes zurückbehalten hatte, konnte er ihn nicht selbst führen. Clayton Jeeves hatte schon bei der Morgenfahrt den Wunsch ausgesprochen, vorne beim Lenker zu sitzen. Auch jetzt wählte er, ohne erst zu fragen, denselben Platz. Dorothy Cowell, Cartwright, Burton und der Major konnten daher den durch die Glasscheibe von ihnen Abgesonderten ruhig zum Gegenstand ihres Gespräches machen, ohne von ihm gehört zu werden. Wer weiß aber, ob Jeeves sie gehört hätte, wäre er selbst unter ihnen gesessen. Seine gepeinigte Seele war in ein wirres Selbstgespräch verloren. Die drei Herren wußten von Clayton Jeeves so gut wie gar nichts. Sie hatten ihn ja erst vor wenigen Tagen durch Dorothy Cowell kennengelernt, die sich seiner mütterlich anzunehmen schien. Übrigens war ihr gestern die ehrerbietige Bemerkung entfallen, daß sie in Jeeves nicht nur einen hochbegabten Schriftsteller, sondern einen echten Dichter sehe, wenngleich sich dieses Urteil nur auf ganz spärliche Veröffentlichungen stützen könne. Professor Cartwright und Major Shepston hatten sofort wie zur Abwehr eingestanden, daß sie nicht die geringste schöngeistige Ader besäßen. Burton las zwar mit Vorliebe Gedichte, begnügte sich aber als Altertumsnarr und Ästhet, der er war, mit den Versen von Pindar bis Swinburne und hätte es für eine entehrende Zumutung gehalten, in der neuen oder gar neuesten Literatur bewandert zu sein. Doch nicht die schriftstellerische Begabung war es, die das Interesse der Männer an Clayton Jeeves erweckte. Sein von innen her verschattetes Gesicht, das unmögliche Schweigen heute, dieses eingesponnene Dasitzen, das sich, ohne feindselig zu sein, scharf distanzierte, kurz die beunruhigende Gesamtwirkung seiner Person zwang sie jetzt, aus der gebotenen Reserve ihrer Erziehung zu treten und ganz gegen Art und Gewohnheit Fragen über diesen Fremdling an Dorothy Cowell zu richten. Selbstverständlich war es Burton, der den beiden Älteren die Rolle des Neugierigen abnahm. Es entspann sich also um die Person Jeeves’ ein sonderbares Quintett, in dem er selbst, wenn auch nur als inneren Monolog, die führende Stimme entwickelte. Der Motor, der gewaltige Steigungen zu überwinden hatte, heulte dazu einen wehen Cantus firmus. Und die tragische Öde der Wüste Judäa mit ihren rot- und braungetönten Steinrunzeln, Felswunden, Kanten und Schluchten, ein äußeres Abbild innerer Zerrissenheit, zog als bedeutsame Begleitung vorbei.
Die Wiedergabe eines Selbstgespräches bleibt stets mit einer gewissen Unwahrhaftigkeit verbunden. Der Mensch redet sich selbst weder mit »ich« noch mit »du« an. Der Träger des inneren Lebens ist weder der Gedanke noch das Wort, obgleich auch diese beiden am inneren Leben mitwirken. Lange noch bevor die Seele ihre Spannungen in Sprache umbildet, erleidet sie die unabsehbare Flucht der Bilder. Und auch die Bilder sind bei weitem noch nicht die letzte Schicht der sinnenden Innerlichkeit. Man könnte in der Tat an einen mentalen Stoff, gleich Cartwrights Akâsha, glauben, an ein zartes Grundgewebe, auf dem die Bilder und Vorstellungen des Seelenlebens sich entwickeln. Cartwright aber und die andern im Fond des Wagens dachten jetzt nicht mehr an Akâsha noch auch an jene Gespräche, die der Anblick einer Landschaft aus ihnen hervorgelockt hatte, die an der Grenzmark zwischen Hier und Dort zu liegen scheint. Mit der geistigen Wandlungskraft weltgewandter Leute hatten sie die Metaphysik abgeschüttelt und saßen trockenen Verstandes da. Jeeves allein konnte sich von der Nachwirkung der Gespräche am Toten Meer, denen er die Teilnahme verweigert hatte, noch nicht befreien. Regungslos verharrte er neben dem Wagenführer und blickte geradeaus in Land und Wüste Judäa.
Ich bin krank – mit dieser Einsicht begann der Ablauf seiner Selbstbesinnung –, ich war immer krank, von Kindheit an, aber die Art der Krankheit verstehe ich erst seit gestern, seit meinem Besuch bei dem Nervenarzt in Jerusalem … Wäre ich übrigens ein Hypochonder, ja nur ein gewöhnlicher Kranker, so hätte ich nicht als dreiunddreißigjähriger Mensch gestern zum erstenmal meine Zustände einem Arzte gebeichtet … Mit meiner Mutter habe ich niemals darüber gesprochen … Und Leonora gegenüber habe ich erst kurze Zeit vor ihrem Tode eine Andeutung gemacht … (Merkwürdig, ich gab ihr, als wir uns verlobten, den Namen Leonora, und jetzt als Tote scheint sie vor mir in ihren alten Namen Mildred zurückzuweichen&nb