: Josef H. Reichholf
: Warum wir siegen wollen Der sportliche Ehrgeiz als Triebkraft in der Evolution des Menschen
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104002231
: 1
: CHF 9.00
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: Natur und Gesellschaft: Allgemeines, Nachschlagewerke
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wie aus Jägern Sportler wurden Bei aller Ähnlichkeit zu den uns nahestehenden Tierarten ist der Mensch doch das einzige Lebewesen, das gewinnen will nur um des Gewinnens willen. Sind Spiel und Sport die natürliche Fortsetzung der Entwicklung zum Homo sapiens? Der international renommierte Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf stellt verständlich und spannend dar, wie sich dieses Phänomen entwickelt hat und unseren Alltag nach wie vor prägt. Und er liefert eine verblüffende Erklärung.

Josef H. Reichholf ist Evolutionsbiologe, Naturforscher und Bestsellerautor. Bis 2010 war er Leiter der Wirbeltierabteilung der Zoologischen Staatssammlung München und lehrte an beiden Münchner Universitäten. Zahlreiche Bücher, Fachpublikationen und Fernsehauftritte machten ihn einem breiten Publikum bekannt. 2007 wurde Josef H. Reichholf mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa ausgezeichnet, nach dem Cicero-Ranking 2009 gehört er zu den 40 wichtigsten Naturwissenschaftlern Deutschlands. Bei S. Fischer erschien von ihm: ?Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends?, ?Warum die Menschen sesshaft wurden?, ?Einhorn Phönix Drache. Woher unsere Fabelwesen kommen? und ?Mein Leben für die Natur. Auf den Spuren von Evolution und Ökologie?. Literaturpreise: Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa 2007

2. Kapitel:Mängelwesen …


Was ist der Mensch? Antworten auf solche Fragen sollte man tunlichst vermeiden. Denn erstens besteht der Mensch gegenwärtig aus mehr als sechs Milliarden Angehörigen seiner Art. Und zweitens hat er auch Vorfahren, die ihm sehr nahe gekommen sind. Bei manchen von ihnen würde es uns heute recht schwer fallen, sie nicht als Mensch einzustufen. Zum Beispiel die NeandertalerHomo neanderthalensis. Sie existierten in einem längeren Zeitraum als der bisher jüngste Spross, der Stammeslinie der Menschen (GattungHomo) und sie dürften den heutigen Menschen hinsichtlich ihrer Körperkräfte ziemlich überlegen gewesen sein. Womit wir eigentlich schon wieder beim Kernthema wären.

Aber zurück zur Ausgangsfrage. Niemand kann alle Menschen, die es gibt und jemals gegeben hat, vollständig überblicken, um aus dieser Kenntnis heraus sagen zu können, was »der Mensch« wohl sei – nicht einmal nur rein biologisch. Ihn als ein »Mängelwesen« zu bezeichnen, wie der Kinderpsychologe Arnold Gehlen das getan hat, mag einen persönlichen Eindruck ganz treffend wiedergeben, aber viel besagt es nicht. Auch nicht die Definition »Spezialisiertsein auf Nichtspezialisiertsein«, wie Konrad Lorenz meinte, den Menschen als Art und im Vergleich zu seiner Primatenverwandtschaft charakterisieren zu können. Der berühmte Verhaltensforscher und Nobelpreisträger hat mit diesem Bonmot genauso wenig ausgesagt wie Arnold Gehlen oder wie viele Philosophen, die nach dem Wesen des Menschen suchten, auch wenn ihre Aussagen auf bestimmte Seiten des Menschseins zutreffen mögen.

So wird niemand bestreiten, dass es dem Menschen als Art offenbar an der Einsicht mangelt zu erkennen, dass es nicht und niemals gut ist, gegen andere Menschen oder – ohne Rücksichtnahme auf die einzelnen Individuen – gar gegen andere Völker, Staaten oder Andersdenkende Krieg zu führen. In dieser Hinsicht ist derHomo sapiens ein echtes Mängelwesen – ein richtiger Versager, wie die Fortdauer von Kriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen in unserer »modernen Zeit« hinlänglich beweist.

Der Mensch ist auch nicht von Natur aus darauf spezialisiert, Schuhputzer, Autofahrer oder Welten lenkender Politiker zu sein oder zu werden. Glücklicherweise, denn sonst gäbe es für alle unehrenwerten Tätigkeiten von Menschen von vornherein umfassende Entschuldigungen, und es bestünden keine Aussichten, aus individuellen Fehlern zu lernen. Auch könnten nicht völlig neuartige Gebiete erschlossen werden, wie etwa in den letzten Jahren der Bereich des Computers und des Internets.

Es ist aber sicher eine großartige Idee, im Menschen das Ebenbild Gottes zu sehen. Das drückt den tiefen Glauben an das Gute im Menschen und an das höchst löbliche Streben aus, sich diesem Ebenbild auch als würdig zu erweisen. Dass dies in der Lebenswirklichkeit zumeist kläglich misslingt, liegt sicherlich nicht nur daran, dass der direkte Vergleich von Ebenbild und Gott offensichtlich unmöglich ist, sondern eben ganz wesentlich auch daran, dass der Mensch nicht so »ist«, wie er aus dieser Sicht sein sollte.

Unser neugieriger Beobachter von außerhalb, der feststellen möchte, was der Mensch »ist«, würde genau bei solchen Fragestellungen scheitern oder in der Philosophie landen. In einer »Philosophie« nämlich, die niemand widerlegen könnte, aber der beliebig viele andere Sichtweisen über das eigentliche Wesen des Menschen hinzugefügt werden könnten. Deshalb benutzte der neugierige Beobachter auch die Vergleiche mit Ameisen und Schimpansen oder anderen Lebewesen. Ob passend, wie wohl bei den Schimpansen als unseren nächsten Verwandten, oder eher unpassend, wie bei den Ameisen, mag zunächst zurückgestellt werden. Es geht in unserer zentralen Fragestellung ja darum herauszubekommen, warum wir »siegen« wollen. Und dazu brauc