3Bernadette weiß nichts von der Heiligen Dreifaltigkeit
Hinterm Lehrertisch sitzt Sœur Marie Thérèse Vauzous, eine der Klosterfrauen von Nevers, die an das Hospital und die ihm angeschlossene Mädchenschule in Lourdes abgeordnet sind. Sœur Marie Thérèse ist noch jung, und sie könnte für schön gelten, wenn ihr Mund nicht allzu schmal und ihre hellblauen Augen nicht allzu eingesunken wären. Die Blässe des feingeformten Gesichtes wirkt unter dem schneeweißen Haubenvorstoß krankhaft gelblich. Die langgefiederten Hände deuten auf ausgezeichnete Herkunft. Wenn man aber näher hinsieht, so sind diese adligen Hände rot und aufgesprungen. Was die erbarmungslosen Zeichen der Strenge und Abtötung anbetrifft, so bietet die Nonne Vauzous zweifellos das Bild einer mittelalterlichen Heiligen dar. Der Katechet von Lourdes, Abbé Pomian, der ein feiner Spötter ist, sagt von ihr: »Die gute Sœur Marie Thérèse ist weniger eine Braut als eine Amazone Christi.« Er kennt die Klassenlehrerin Vauzous ziemlich genau, da sie ihm als Gehilfin beim Religionsunterricht der Mädchen zugeteilt ist. (Die seelsorgliche Pflicht führt den Kaplan Pomian viel in den Dörfern und Märkten des Kantons umher, so daß er oft tagelang von Lourdes abwesend ist. Er selbst pflegt sich dann einen Commis voyageur Gottes zu nennen. Sein Oberer, der Dechant Peyramale, verabscheut dergleichen witzige Aperçus.) Marie Thérèse Vauzous bereitet die Kinder unter Pomians Leitung zur Erstkommunion vor, die im Frühjahr stattfindet.
Vor der Lehrerin steht ein Mädchen. Es ist ziemlich klein für sein Alter. Das runde Gesicht ist sehr kindlich, während der schmächtige Körper bereits die Frühreife der südländischen Rasse erkennen läßt. Das Mädchen ist in einen bäuerlichen Kittel gekleidet. An den Füßen trägt es Pantinen. Aber alle Kinder, und nicht nur die Kinder, tragen hier Holzschuhe, bis auf die wenigen, die aus den sogenannten besseren Kreisen stammen. Die braunen Augen des Mädchens halten dem Blick der Klosterfrau ruhig stand. Ihr eigener Blick ist frei, abwesend und beinahe apathisch. Etwas in diesem Blick macht Sœur Marie Thérèse unruhig:
»Und weißt du wirklich nichts über die Heilige Dreifaltigkeit, liebes Kind?«
Das Mädchen wendet den Blick noch immer nicht von der Lehrerin und antwortet unbefangen mit einer hellen Stimme:
»Nein, ma Sœur, ich weiß nichts darüber …«
»Und du hast niemals etwas davon gehört?«
Das Mädchen denkt lange nach, ehe es sagt:
»Möglich, daß ich was davon gehört hab …«
Die Nonne klappt ihr Buch zu. Ein wirkliches Leiden tritt auf ihre Züge:
»Jetzt weiß ich nicht, mein Kind, soll ich dich für dreist halten, für gleichgültig oder nur für dumm …«
Ohne den Kopf zu senken, entgegnet Bernadette, als ob sie das nichts anginge:
»Ich bin dumm, ma Sœur … In Bartrès haben sie gesagt, daß ich keinen Kopf zum Lernen hab …«
»Also, wie ich’s gefürchtet hab«, seufzt die Lehrerin. »Du bist frech, Bernadette Soubirous …«
Die Vauzous geht auf und ab vor den Bänken. Sie muß, eingedenk ihrer Pflicht als geistliche Person, einen heftigen Unwillen niederkämpfen. Währenddessen beginnen die achtzig oder neunzig Mädchen der Klasse unruhig zu rutschen und immer lauter zu plappern.
»Ruhe«, befiehlt die Lehrerin. »Unter was für ein Volk bin ich geraten? Ihr seid Heiden, ärger und unwissender als Heiden …«
Eines der Mädchen meldet sich, mit der Hand fuchtelnd:
»Bist du nicht auch eine Soubirous?« fragt die Nonne, die erst vor einigen Wochen die Klasse übernommen hat und noch nicht alle Gesichter mit den dazu gehörenden Namen in Einklang bringen kann.
»Jawohl, ma Sœur. Ich bin die Marie Soubirous … Ich wollte nur sagen, daß Bernadette, daß meine Schwester immer krank ist …«
»Du bist eigentlich danach nicht gefragt worden, Marie Soubirous«, rügt die Lehrerin, der dieser schwesterliche Beistand als eine Art Aufruhr erscheint. Mit christlicher Milde allein kann man eine Horde von neunzig Proletariermädchen nicht in Zucht halten. Die Vauzous versteht es aber sehr gut, sich Respekt zu verschaffen.
»Krank ist deine Schwester?« fragt sie. »Was für eine Krankheit?«
»Athma heißt es, oder so …«
»Du meinst wohl Asthma …«
»Jawohl, ma Sœur, Asthma! Der Doktor Dozous hat das gesagt. Sie kann nicht atmen, oft …«
Marie ahmt drastisch einen Anfall von Schweratmigkei