1.
Ich heiße Robert Zimmermann, und ich hasse meinen Namen. Vielleicht gehören Sie zu jenen Leuten, die an Robert Zimmermann nichts Negatives entdecken können. Vielleicht finden Sie, mein Name klänge etwas steif, nicht sehr originell, aber doch wohl keineswegs hassenswert – aber dann gehören Sie eben nicht zu den erschreckend vielen Menschen, die wissen, dass Robert Zimmermann der Geburtsname Bob Dylans ist. Jawohl, Amerikas größte Hippielegende und ich haben denselben Namen im Reisepass! Und Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Leute sich deshalb berufen fühlen, mich mit irgendwelchen blöden Witzen zu traktieren.
Eben gerade ist es wieder passiert. Ich sitze hier an Bord einer British-Airways-Maschine, und die Stewardess, die meinen Namen offenbar bereits in der Passagierliste entdeckt hatte und schon so blöde griente, als ich meinen Platz einnahm, tauchte plötzlich mit einer Thermoskanne neben mir auf und fragte giggelnd und übertrieben laut: »One more cup of coffee?«Und prompt stimmten ihre zwei Kolleginnen, die hinter dem Vorhang der ersten Klasse auf ihren Einsatz gelauert hatten, prustend im Chor ein: »One more cup of coffee for the roooooad, one more cup of coffee before I gooooo … to the valley below!«Es folgte das obligatorische Gegacker der vermeintlich Witzigen.
Okay, es ist zugegebenermaßen eine angenehme Abwechslung, wenn jemand mal einen anderen Song als Blowing in the Windoder The Times, they are a-changingfür seinen Bob-Dylan-Namensvetter-Witz benutzt. Normalerweise hätte ich die erstaunliche Tatsache, dass drei junge, hübsche Frauen, für die doch eigentlich selbst der Sommerhit des letzten Jahres schon ein Oldie sein müsste, einen eher unbekannten und obendrein rund 30 Jahre alten Dylan-Song im Repertoire haben, wohl auch mit einem höflich-neckischen Grinsen quittiert. Aber nicht heute. O nein, heute nicht! Denn heute ist der entsetzlichste Tag meines Lebens. Heute ist der Tag, an dem ich meine große Liebe verloren habe.
Wenn ich tatsächlich Bob Dylan wäre, würde ich jetzt einen Kugelschreiber zücken und auf einer British-Airways-Serviette den tragischsten und herzerweichendsten Song meiner Karriere niederschreiben. Ich würde mir dann meine Klampfe schnappen, die natürlich wie eine Geliebte neben mir auf einem Extraplatz reisen würde, und mit meiner unvergleichlichen Stimme, die klingt, als ob ich einen Tampon in der Nase und seit drei Tagen nicht mehr geschlafen habe, die Ballade meines großen Unglücks anstimmen. Und alle meine Mitreisenden, selbst die Manager mit den Aktenkoffern auf dem Schoß, würden hemmungslos zu schluchzen beginnen und noch Jahre später von diesem denkwürdigen Flug mit dem traurigsten Mann der Welt erzählen.
Aber ich bin ja nicht Bob Dylan. Ich bin nur Robert Zimmermann. Alles, was ichtun kann, ist, Ihnen zu erzählen, was mir passiert ist. Die ganze Geschichte.
Was ich Ihnen zu erzählen habe, ist eine Liebesgeschichte. Es ist jedoch keine gewöhnliche Liebesgeschichte. Aber andererseits: Wann war die Liebe je gewöhnlich?
Alles begann vor 14 Monaten. An einem Montag im Mai. Es war ein schöner, sonniger Frühlingstag im sonst nicht gerade sonnenverwöhnten Hamburg. Und ich hatte einen Saucenfleck auf meinem Anzug.
Ich besaß damals zwei Anzüge. Nicht aus Überzeugung oder modischer Erwägung, sondern weil ich sie für meinen Job brauchte. Ich war für die Pressearbeit der Computer- und VideospielfirmaCloneByte zuständig, und obgleich sich unsere Branche sonst gern den Anstrich eines Horts von freidenkenden Partyjüngern und hippen Individualisten gibt, bestand mein Boss darauf, dass ich mich bei offiziellen Terminen und Präsentationen dem branchenübergreifenden Schlips-Diktat beugte. An diesem Montagabend sollte ich einer Gruppe geladener Journalisten im schickenPark-Hyatt-Hotel unser neuesNintendo-Gamecube-SpielMetroid Frenzy 2 vorführen.
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