1. Kapitel
Eine Entdeckung auf dem Dachboden
Bei Raufereien war Martin Taschenbier bestimmt nicht der Stärkste in der Klasse, er gehörte eher zu den etwas Schwächeren. Genau genommen war er der Zweitschwächste. Nach ihm kam nur noch Basilius Mönkeberg, der schon in die Knie ging, wenn man ihn scharf anguckte.
Martin gehörte auch nicht gerade zu den Größten der Klasse. Bei Herrn Knortz, ihrem Sportlehrer, mussten sich die Schüler zu Beginn der Turnstunde immer in einer Reihe aufstellen, nach Größe geordnet. Da stand Martin meist an viertletzter Stelle. Wenn Roland Steffenhagen fehlte, stand er sogar an drittletzter. Roland Steffenhagen war der Zweitkleinste, und er fehlte oft. Er hatte nämlich eine Mutter, die leidenschaftlich gern Entschuldigungen schrieb.
Wenn Roland keine Lust hatte, beim Sportunterricht mitzumachen (und er hatte selten Lust!), brauchte er morgens beim Frühstück nur zweimal zu husten und mit leicht heiserer Stimme zu flüstern: »Mama, ich glaube, ich bin ein bisschen erkältet.«
»Schon wieder? Ach, du Armer. Da darfst du heute aber auf keinen Fall mitturnen. Das strengt dich zu sehr an. Ich schreib dir gleich eine Entschuldigung«, sagte dann seine Mutter, setzte sich an den Computer und schrieb eine.
Sie hatte eine Extradatei namens »ENTSCHLD« angelegt, die sie nur auszudrucken und zu unterschreiben brauchte. Darin stand:
»Mein Sohn Roland Steffenhagen kann heute wegen leider den Sportunterricht nicht besuchen. Ich bitte sein Fernbleiben zu entschuldigen. Mit freundlichen Grüßen«
Nach dem Wort »wegen« fügte sie bei jeder neuen Entschuldigung eine andere Begründung ein, zum Beispiel »Halsweh«, »Halsschmerzen«, »Halsentzündung«, »Rachenrötung« oder »Schluckbeschwerden«.
Die anderen aus der Klasse beneideten Roland um seine Mutter. Er war auch ziemlich stolz auf sie. Gar nicht so sehr, weil sie ihn immer bei Herrn Knortz entschuldigte, sondern weil sie sich bei den angegebenen Krankheiten noch nie wiederholt hatte. Und das nach immerhin achtzehn Entschuldigungen im letzten Schuljahr. Jetzt, kurz nach den großen Ferien, hatte sie es schon wieder auf vier neue gebracht: »Hustenreiz«, »Bronchitis«, »Reizhusten« und »chronische Heiserkeit«.
Für Martin Taschenbier bedeutete das, dass er im neuen Schuljahr schon viermal an drittletzter Stelle der Reihe gestanden hatte, obwohl er doch eigentlich nur der Viertkleinste war.
Betrachtete man seine schulischen Leistungen, lag Martin im Mittelfeld der Klasse. In Deutsch sogar noch etwas weiter vorn; einmal hatte er tatsächlich eine Eins im Aufsatz geschrieben. Doch das blieb eine Ausnahme.
Es gab aber etwas, worin Martin unangefochten den ersten Platz in der Klasse einnahm: Er war mit Abstand der Schüchternste.
Er beklagte sich sogar zu Hause bei s