Johanna lag schon eine ganze Weile wach in ihrer Doppelbetthälfte, hatte den Kopf aus dem Kissen gehoben, sich halb aufgerichtet und lauschte auf die Geräusche, die vom Erdgeschoss heraufdrangen.
Eben fiel unten eine Tür ins Schloss, die Tür zwischen der Gaststube und dem Nebenzimmer. Johanna erkannte sie am hellen, metallischen Klicken. In einem alten Haus hat jede Tür ihre unverwechselbare Stimme. Gleich darauf knarrte die Tür zwischen dem Nebenzimmer und der Küche. Jemand war aus der Gaststube gekommen und durchs Nebenzimmer in die Küche gegangen.
Johanna nickte, lächelte und ließ den Kopf ins Kissen zurücksinken. Oma Mariechen hatte also das Schankblech geholt, einen flachen Messingkasten mit gelochtem Deckel, der unter dem ständig tropfenden Bierhahn seinen Platz hatte. Johanna konnte sich genau vorstellen, wie Oma Mariechen nun vornübergeneigt in der Küche stand, das Blech schief hielt und das Bier, das sich über Nacht gesammelt hatte, in den Eimer mit Schweinefutter rinnen ließ.
Es ist schön, wenn eine Familie feste Gewohnheiten hat: Man kann im warmen Bett bleiben, die Zudecke bis ans Kinn hochgezogen, und weiß trotzdem haargenau, was einen Stock tiefer vor sich geht!
Johanna versuchte abzuschätzen, wie lange es wohl dauerte, bis sich Oma Mariechen auf den Weg zum Schweinestall machte. Erst stellte Oma Mariechen das Blech beiseite, an seinen Platz zwischen Küchenherd und Topfschrank.
Nun rührte sie mit einem Holzstab den dampfenden Brei um, der aus Gemüseabfällen, Kartoffelschalen, Kleie, heißem Wasser und abgestandenem Bier bestand. Sie nahm den Eimer am Henkel …
»Jetzt!«, sagte Johanna und hielt die Luft an, um besser lauschen zu können.
Wirklich ging keine zehn Sekunden später die Tür zwischen Küche und Hausflur.
Johanna nickte. »Jetzt!«, sagte sie noch einmal.
Fast gleichzeitig knarzte die hintere Haustür, die zum Hof und damit zum Schweinestall führte.
Johanna zählte im Geist zwölf Schritte ab. »Und jetzt!«, befahl sie. Gehorsam klapperte die Tür des Schweinestalls mit ihrem Holzriegel. So, das Tier war versorgt. Höchste Zeit, dass nun die Menschen an die Reihe kamen!
Da stieß auch schon die Kellertür dumpf an den Balken. Das war Johannas Mutter, sie holte die Milch fürs Frühstück.
Johanna schob das Federbett ein wenig zurück und setzte sich auf. Sie war unschlüssig, ob sie aufstehen sollte oder nicht. Gab es einen Grund, sich aus dem warmen Bett zu schälen? Sie musste nicht in die Schule, die Weihnachtsferien waren wegen Kohlenmangels bis Ende Januar verlängert worden. Andrerseits war der Zeitpunkt geradezu ideal fürs Aufstehen.
Ihre Mutter stand jetzt unten am Herd, die Küche war wohlig warm, gleich würde das Frühstück fertig sein. Tante Fanni setzte gerade einen Topf voll Wasser aufs Feuer. Tante Fanni hatte einen Abscheu vor kaltem Wasser und wusch sich morgens immer warm. Vielleicht stand sie auch schon im Unterrock vor dem Küchentisch, den Oberkörper über die Waschschüssel gebeugt, wusch sich und betrachtete ihr feuchtes Gesicht im Spiegel. War sie gut gelaunt, gab sie Johanna die Hälfte des warmen Wassers ab, hatte sie schlechte Laune, bekam Johanna immerhin noch einen Schöpfbecher voll.
Oma Mariechen fütterte das Schwein. Sie stand nun neben dem Trog und redete dem Tier gut zu, wie sie das jeden Morgen tat. Sie pries dabei sein Futter in den höchsten Tönen, lobte es so überzeugend, dass man meinen konnte, sie selbst habe Appetit auf die packpapierfarbene Brühe. Bevor das Schwein den Trog nicht bis auf den letzten Tropfen geleert hatte, wich sie nicht von seiner Seite.
Das würde noch eine Weile dauern.
In der Zwischenzeit könnte Johanna aufstehn, sich waschen, sogar warm waschen, und sie könnte sich in aller Ruhe anziehn. Oma Mariechen würde sich bestimmt freuen, wenn sie vom Schweinefüttern zurückkam und Johanna schon angezogen am Frühstückstisch sitzen sah.
Johanna schlug die Bettdecke ganz zurück, angelte mit den Füßen nach ihren Hausschuhen, nahm ihre Kleider unter den Arm und rannte durchs kalte Treppenhaus nach unten.
Sie öffnete die Küchentür – und blieb verblüfft im Türrahmen stehen: Nichts stimmte! Nichts war, wie es zu sein hatte!
Oma Mariechen saß im schwarzen Sonntagskleid vor dem schräg aufgestellten Spiegel, hatte ein Handtuch um die Schultern gelegt und kämmte sich. Tante Fanni, schon fertig angezogen, richtete das Frühstück. Mutter war gar nicht in der Küche. »Wo ist denn Mama?«, fragte Johanna.
»Mach doch die Tür endlich zu!«, rief Tante Fanni. »Die ganze Kälte kommt herein.«
»Deine Mutter füttert gerade das Schwein«, sagte Oma Mariechen. Sie sprach undeutlich, weil sie den Mund voller Haarklammern hatte. »Guten Morgen übrigens.«
»Guten Morgen«, sagte Johanna verdutzt, trat in die Küche und schloss die Tür hinter sich. »Warum hast du denn das schwarze Kleid an? Ist heute ein Feiertag?«
»Sie geht mal wieder zu einer Beerdigung«, antwortete Tante Fanni an Omas Stelle.
»Wer ist denn gestorben? Jemand, den ich kenne?«, fragte Johanna.
»Nein, nein«, sagte Tante Fanni gleichmütig, während sie die Pfanne mit den K