ERSTES KAPITEL
Das Bild eines stolzen Schiffes unter vollen Segeln auf hoher See trat Diti an einem ganz gewöhnlichen Tag vor Augen, aber sie wusste sofort, dass die Vision ein Fingerzeig des Schicksals war, denn sie hatte ein solches Schiff noch nie zuvor gesehen, nicht einmal im Traum. Wie auch, da sie doch im nördlichen Bihar lebte, vierhundert Meilen von der Küste entfernt? Ihr Dorf lag so weit im Landesinneren, dass das Meer so fern schien wie die Unterwelt: Es war der Abgrund der Finsternis, wo der heilige Ganges imkālā-pānī verschwand, im »Schwarzen Wasser«.
Es geschah am Ende des Winters, in einem Jahr, in dem die Mohnpflanzen merkwürdig lange zögerten, ihre Blütenblätter abzuwerfen: Meilenweit schien der Ganges, von Benares abwärts, zwischen zwei Gletschern dahinzufließen, denn seine Ufer waren mit dicken Teppichen weiß blühender Blumen bedeckt. Es war, als hätten sich die Schneemassen des Himalaja über die Ebenen gebreitet, um auf das Holi-Fest mit seinen üppigen Frühlingsfarben zu warten.
Das Dorf, in dem Diti lebte, lag unweit der Stadt Ghazipur, ungefähr fünfzig Meilen östlich von Benares. Wie alle ihre Nachbarn war Diti besorgt wegen der verspäteten Mohnernte. An dem bewussten Tag stand sie früh auf und erledigte mechanisch ihre täglichen Pflichten, legte für Hukam Singh, ihren Mann, frisch gewaschene Kleidung zurecht, einen Dhoti und einekamīz, und stellte das eingelegte Gemüse und dierotīs bereit, die er zu Mittag essen würde. Als sie sein Essen eingepackt hatte, legte sie eine Pause ein, um rasch in ihren Schrein zu gehen. Später, wenn sie gebadet und sich umgezogen hatte, würde sie ihrepūjā verrichten, mit Blumen und Opfergaben; jetzt aber, noch im Nachtsari, trat sie nur unter die Tür und legte kurz die Hände aneinander.
Schon bald kündigte ein quietschendes Rad den Ochsenkarren an, der Hukam Singh in die Fabrik im drei Meilen entfernten Ghazipur bringen würde. Kein weiter Weg, aber doch so weit, dass Hukam Singh ihn nicht zu Fuß zurücklegen konnte, denn er war als Sepoy in einem britischen Regiment am Bein verwundet worden. Die Behinderung war jedoch nicht so schwer, dass er Krücken gebraucht hätte – er konnte ohne Hilfe bis zu dem Karren gehen. Diti, die ihm mit einem Schritt Abstand folgte, trug ihm in einem Tuch sein Essen und sein Wasser nach und händigte ihm das Päckchen aus, als er auf den Karren gestiegen war.
Kalua, der Fahrer des Ochsenkarrens, war ein Hüne, machte aber keine Anstalten, seinem Fahrgast zu helfen, und achtete darauf, sein Gesicht vor ihm zu verbergen: Er war Chamar, und für Hukam Singh als Angehörigem der hohen Rajput-Kaste wäre der Anblick seines Gesichts ein böses Omen für den bevorstehenden Tag gewesen. Nachdem er auf den Karren geklettert war, saß der frühere Sepoy nun mit dem Rücken zu Kalua und hielt sein Bündel auf dem Schoß, damit es nicht mit irgendwelchen Gegenständen des Fahrers in Berührung kam. So saßen sie, Fahrer und Fahrgast, während der Karren über die Straße nach Ghazipur rumpelte – in freundschaftlichem Gespräch zwar, doch ohne sich auch nur einmal anzusehen.
Auch Diti verbarg sorgsam ihr Gesicht vor Kalua; erst als sie wieder ins Haus ging, um Kab