1 Die Ungnade der späten Geburt oder:
Schicksalslosigkeit als Manko
„Früher war alles besser.“ Frei nach diesem Motto lässt sich eine weitverbreitete Annahme beschreiben, wonach die heutigen Politiker nicht mehr das Format der früheren besäßen. Man hat dann die Schwarz-Weiß-Bilder vor Augen, auf denen Ludwig Erhards Zigarre dampft, Konrad Adenauer seiner Limousine entsteigt oder Willy Brandt im Bundestag am Rednerpult steht. Diese Reihe ließe sich vermutlich schier endlos fortsetzen– doch von der gegenwärtigen Politikelite lässt sich das nicht behaupten. Auch finden sich nur noch selten einprägsame Karikaturen, wie es sie etwa zu Helmut Schmidt, Franz Josef Strauß oder Helmut Kohl zuhauf gab, oder kommerziell vertriebene Bücher mit Politikerzitaten. Der Unterhaltungswert der aktuellen Politcharaktere scheint beträchtlich nachgelassen zu haben. Der einzige Politiker, dessen Name eine Bestsellergarantie ist– Helmut Schmidt–, entstammt daher wenigüberraschend nicht der gegenwärtigen Politikelite.
War früher alles besser?
Sitzt man aber nicht an dieser Stelle einem Trugschluss auf, einem verzerrten Blick auf die Vergangenheit aus der wachsenden Distanz der Gegenwart? Diese Frage ist nicht ohne Bedeutung, denn zumeist verbindet sich mit der Erinnerung an die verblichene Machtelite auch der Glaube, es habe sich insgesamt um das bessere Politikpersonal gehandelt. Besser in mehrfacher Hinsicht: erfahrener, bevölkerungsnäher, unbestechlicher, aufrichtiger, prinzipienfester, auch fleißiger und sachverständiger. Aber stimmt das wirklich? Wer also regiert(e) uns?
Zunächst ist der wehmütige Abgleich der Politikerriege vergangener Zeiten mit dem politischen Personal der Gegenwart eine regelmäßige Begleiterscheinung des deutschen Politikbetriebs. Vergleichbare Klagen ließen sich auch immer wieder in den 1960er-, 70er- und 80er-Jahren vernehmen. Inzwischen legendäre Figuren wie Willy Brandt, Walter Scheel oder Helmut Kohl, auf die sich die heutige Nostalgie vielfach bezieht, boten in den 1970er-Jahren manchen Anlass, sich an vermeintlich ehrwürdigere, charakterfestere und insgesamt großformatigere Politikstars der 1950er-Jahre zu erinnern.
So schrieb etwa derSpiegel-Journalist Jürgen Leinemann 1979über Carlo Schmid, einen der Gründungsväter der Bundesrepublik, ihn umgebe„jenes clevere, berechnende, agile Manager-Bonn“. Und 1984 wandte der Geschichtsschreiber Christian Graf von Krockow in derZeit seinen Blick zurück in dieÄra Adenauer und fragte sich, wo sie denn nur alle hin seien, die„knorrigen, kantigen Persönlichkeiten, die das Bild der Politik in der schlimmen, guten Nachkriegszeit geprägt haben“, woher stattdessen„dieser polierte, wieselige, wendige, geölte, salbadrige Typus, der inzwischen und offenbar immer mehr das Feld beherrscht“, gekommen sei. Auch feixten einmal ein Altkanzler und ein Altbundespräsidentüber die dringliche Notwendigkeit einer Präsidialdemokratie, weil ihre Nachfolger ja nicht mehr regieren würden. Dieser Scherz ging allerdings nicht etwa auf Kosten von Gerhard Schröder oder Angela Merkel– nein, es waren Willy Brandt und Walter Scheel, die sichüber Helmut Schmidts Regierung belustigten.
Dass die Vergangenheitsverklärung ebenso wie die bereits geschilderte Politikerkritik ein ganz typischer, stets wiederkehrender Effekt ist und insbesondere die Gründergeneration eines erfolgreichen Systems wie dem der Bundesrepublik als Kontrastfolie heranzieht, auf dem die gegenwärtige Politelite stets klein und gering erscheint, lässt sich in der Weltgeschichte immer wieder beobachten. Von dem französischen Gelehrten Alexis de Tocqueville ließ sich im 19. Jahrhundert erfahren, dass die damaligen Staatsmänner der Vereinigten Staaten nichts mehr von der Qualität der Gründerväter des späten 18. Jahrhunderts besäßen.
Dennoch lässt sich ein gewisser Wahrheitsgehalt der Gegenwartskritik an der politischen Elite nicht bestreiten. Irgendetwas scheint Angela Merkel, Peer Steinbrück oder Claudia Roth von Konrad Adenauer, Hans-Dietrich Genscher oder Herbert Wehner zu unterscheiden. Zunächst: Folgt man den Zeitungsberichten, so hatten die früheren Politiker tatsächlich mehr zu bieten als die heutigen. Etliche Journalisten der 1960er- und 70er-Jahre ließen sich zu beinahe schwärmerischen Schilderungen der Redekunst eines Kurt Georg Kiesinger, Rainer Barzel oder Franz Josef Strauß hinreißen. Und auch Helmut Schmidts Auftritte im Bundestagsplenum schienen mehr einem Schauspiel als einem pflichtgem&au