: Gregor von Rezzori
: Mir auf der Spur
: hey! publishing
: 9783942822268
: 1
: CHF 4.40
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 374
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Grandseigneur der europäischen Literatur flaniert durch sein Jahrhundert: nachdenklich, respektlos, geistreich und sehr amüsant. Wer den grandiosen Sprachkünstler Rezzori, den sanften Spötter, indiskreten Weltbürger kennt, weiß dass hier kein Geschichtsbuch anzukündigen ist. Es ist ein Buch der Geschichten und der Gesichter. Vor den Augen des Lesers erwacht ein knappes Jahrhundert zum Leben, voller Klugheit, Lachen, Leidenschaft, Hass, Massenwahn und Tod. Der Kosmopolit Rezzori, dessen Wurzeln in der alten Bukowina liegen, wo sich ein rundes Dutzend Völker, Glaubensbekenntnisse, Sprachen und historische Überlieferungen zu einer wahrlich multikulturellen Gesellschaft verbanden, erinnert sich für die kommenden Generationen.

Gregor von Rezzori, 1914 in Czernowitz in der Bukowina geboren, wuchs in Rumänien und Österreich auf und lebte bis zu seinem Tod 1998 in der Toskana. Seine 'Maghrebinischen Geschichten' oder die 'Denkwürdigkeiten eines Antisemiten' gehören zu den bedeutenden Werken der europäischen Literatur. (Foto (C) by GettyImages)

Es war einmal ein Tag, da wollte ich einen Blick in die Zukunft tun. Einen winzigen nur, allerdings. Nach einigen vorangegangenen Einblicken in das, was doch demnächst Vergangenheit sein sollte, bin ich nicht mehr neugierig auf morgen. Das Kommende kommt, habe ich gelernt. Das Geschehende geschieht. Es geschieht mit mirüber mich hinweg. Es läßt mir kaum Entscheidungüber den nächsten Augenblick. Ich weiß: Dieser nächste Augenblick– jedernächste Augenblick - birst vor Fatalität. Was immer ich nach Gutdünken wähle, wird Folgen haben, deren Wendungen ich nicht voraussehe. Sie werden mitbestimmt von der Zeit. Sie verlaufen darin, wie alles sich in der Zeit verläuft. Daß es gewesen ist, davon zeugt allein, was sich davon erzählen läßt. Die Welt ist ein ungeheuerlicher Speicher von erzähltem Wiedererzählbarem. Alles Gewesene ist gewesen wie die Saurier. Es war einmal.

An jenem fernen Tag war ich bedrängt von einem Wunsch und mußte wissen, ob er in Erfüllung gehen würde. Es war der Wunsch, einen Schritt aus Deutschland hinauszutun. Nach Deutschland war ich geraten wie in eine Falle. Das Zeitgeschehen hatte mich hingeschwemmt. Gestrandet war ich in Hamburg an der Elbe. Dort gehörte ich nicht hin. Ich war's nicht, der dort unter meinem Namen, mit meiner Nase, meinem blauen Blick, meinen besonderen unvermerkten Merkmalen und in meinen Kleidern herumlief; und war doch erst recht auf mich festgelegt. Mir war nicht wohl in meiner Haut. Ich verspürte das Bedürfnis, aus mir heraus zu mir zurückzufinden. Es lag aber nicht in meiner Macht, anderswohin zu gehen und wieder in meine alte Haut zu schlüpfen. Sie war mir abhanden gekommen. Später habe ich versucht, mir einige ihrähnliche umzulegen. Es waren Verkleidungen. Das Kostüm paßte nicht zur Epoche. Damals erst recht nicht.

Ich trat in der Verkleidung eines Familienvaters auf. Ich hatte Weib und Kind. Dabei konnte ich nichts und hatte keinen Pfennig in der Tasche. Es herrschte noch, was ich»die Eiszeit der Eisenmänner« nannte. Zwar klirrte es nicht mehr von Eis und Eisen. Selbst der Frost war ausgezehrt. Die Helden seien müde, hieß es damals. Die Eisenmänner spien kein Feuer mehr aus ihren vielerlei Rohren. Sie warfen keine Bomben mehr auf die Schutthalden, die von den Städtenübriggeblieben waren. Es hieß, das Gute habeübers Böse gesiegt. Die Sieger mußten die Besiegten bewachen. Die Eisenmänner waren nochüberall im Land und hielten alle Grenzen zu.

Deutschland war mein Gefängnis. Ich war ein Staatenloser ohne Papiere. Nicht einmal solche, die zu erkennen gaben, wo ich beim Kampf des Bösen gegens Gute gestanden war. Ich war ein verdächtig Gesinnungsloser. Bestenfalls gehörte ich zu den Lauen, die Gott und andere Generalpächter des Guten ausspien aus ihrem Mund. Trotzdem hatten Wohlmeinende mir die Möglichkeit zugesagt, daß ich für eine Weile nach England könnte. Es war Frühjahr 1947. Ich sollte zeitweilig Ausgang aus dem Gefängnis ins Armenhaus haben.

Meine Ungeduld zu wissen, ob das wahr werden würde, war so groß, daß ich einen Mann aufsuchte, von dem es hieß, er könne die Zukunft voraussagen. Er war ein Astrologe und hieß Wolf. Seine Geschichte ist abenteuerlich. Mit einer Gruppe seinesgleichen– Magier, Astrologen, Pendler, Chiromanten, Kartenaufschläger– war er auf Sonderbefehl des Oberbösen Heinrich Himmler in das Gefängnis im Bendlerblock gesperrt gewesen. Das war ein ungewöhnlicher Aufenthaltsort. Der Krieg ging seinem Ende zu. Man war nicht langmütig mit Nutzlosen. Es sei denn, man konnte die Nutzlosen nutzen. Die Eingekerkerten verständigten sich untereinander durch Kassiber. Es stellte sich heraus, daß unter ihnen auch Historiker und Altphilologen waren. Ihnen hatte man ein riesiges Material zur Ausschlachtung gegeben: Aus dem gesamten deutschen und von Deutschland besetzten Raum die Akte inquisitorischer Untersuchungen von ketzerischen Alchimisten, Zauberern, von Hexenprozessen und Hexenverbrennungen. Es war nicht ersichtlich, zu was das führen sollte. Man vermutete, zu einem Angriff auf die katholische Kirche. Aber die Protestanten hatten mehr Hexen verbrannt. Die Magier und Wahrsager standen unter beständigem Verhör. Was man von ihnen erfragte, lief darauf hinaus, daß die Mannen Himmlers sich im Reich desÜbernatürlichen umschauen wollten. Sie wollten zaubern lernen.

Sie wollten es zunächst für einen aktuellen Zweck: Ein-Mann-Unterseeboote sollten mit Helden besetzt werden, die nach dem Vorbild japanischer Kamikaze-Piloten zur Selbstaufopferung bereit waren. Wie waren die heranzubilden? Die Leier der nationalistischen Schlagworte war abgespielt. Mit Führer und Vaterland war kein Hund mehr hinterm ausgebombten Ofen vorzulocken. Der Geist mußte mit Geistigem mobilisiert Werden. Man sah sich bedenklich ins Mystische gedrängt. Nicht, daß das der nationalsozialistischen Weltanschauung widersprochen hätte. Aber die Durchführung gab Probleme auf. Selbst Yoga-Übungen der untersten Stufe ließen sich schwerlich ins preußische Exerzier-Reglementübertragen:»Auf den Nabel starrt!« Diejenigen von den unfreiwillig