Wir werden uns wieder finden
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Annelies Schwarz
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Wir werden uns wieder finden
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Allitera Verlag
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9783935284516
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1
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CHF 9.30
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Erzählende Literatur
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German
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157
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DRM
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PC/MAC/eReader/Tablet
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PDF
Im Sommer 1945 ist der Zweite Weltkrieg beendet. Doch was für viele den langersehnten Traum vom Frieden wahr werden lässt, erfüllt sich nicht für die 7jährige Liese und ihre Familie. Sie leben seit Generationen in der Tschechoslowakei, sind aber deutscher Abstammung. Mit dem Einmarsch der Russen beginnt nun die Vertreibung aller Deutschen aus der Tschechoslowakei.
Hoff die Familie zuerst darauf, doch in ihrem kleinen Dorf am Rande des Riesengebirges bleiben zu dürfen, muss auch sie schliesslich die Koffer packen. Aus der Sicht der kleinen Liese wird nun die unfreiwillige Reise beschrieben. Beladen mit dem wichtigsten Hab und Gut macht sich ihre Familie auf den Weg in die 'Heimat Deutschland', ein fremdes Land ohne Verwandte, ohne Freunde.
Auf Grund des riesigen Stromes der Vertriebenen und auch der Flüchtlinge aus Ostpreussen können sie an keinem Ort lange bleiben, und so geht es immer weiter nach Deutschland hinein. Schliesslich findet sie Aufnahme in dem kleinen Städtchen Gössnitz.
Herbst 1945
(S. 87-88)
Mit dem großen Strom der deutschen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen aus dem Osten in einem Haus in Thüringen einen Unterschlupf finden
Der schwarze, gusseiserne Ofen strahlt Hitze aus, bis hoch ins silbern angemalte Knierohr, das auf halber Zimmerhöhe in der Wand verschwindet. Vorsichtig öffne ich mit dem Haken die Ofentür, rote Koksglut strahlt mir entgegen. Mein Gesicht wird ganz heiß. Schnell schließe ich das Türchen wieder, ringle mich auf dem Boden vor dem Ofen wie eine Katze zusammen. Wenn ich schnurren könnte, würde ich jetzt ganz tief schnurren, so gemütlich warm wird mir. Sie haben mich raufgeschickt, weil ich unten im Flur von Nielsens so gefroren habe. »Geh hoch und setz dich vor den Ofen, sonst wirst du noch krank«, hat Mutter gesagt.
Mutter und Großmutter stehen jetzt noch unten im Flur. Sie reden so viel und schon so lange über all das, was sie in den letzten Wochen erlebt haben, reden im Stehen im kalten Flur und fi nden immer noch etwas zum Erzählen. Frau Nielsen könnte uns ja auch in ihre geheizte Küche hereinholen. Aber solange wir hier wohnen, hat sie es noch nicht getan. Wegen Carla, ihrer kranken Tochter. Carla, die immer mit einer Wäscheklammer herumspielt und lallt und sabbert, obwohl sie schon vierzehn Jahre alt ist. Carlas Platz ist in der Küche, und Frau Nielsen will nicht, dass Fremde sehen, dass wegen Carla nicht immer alles ordentlich ist. Heute Vormittag habe ich Carla gesehen. Sie lief im Garten herum und lachte laut, immerzu. Erst habe ich mich hinter einem Baum versteckt und ihr zugesehen, wie sie die Holzklammer zwischen ihren Fingern turnen ließ, nie fiel die Klammer herunter. Carla tut euch nichts, aber wenn ihr sie ärgert, schlägt sie zu, hatte Frau Nielsen bei unserem Einzug vor zwei Wochen gesagt.
Als Carla mir den Rücken zukehrte, hob ich schnell einen Apfel von der Wiese auf. Das ist eigentlich verboten, denn alle Äpfel im Garten gehören Nielsens. Ich biss in den Apfel hinein, aber er hatte ein dickes Wurmloch. Aus sicherer Entfernung warf ich ihn vor Carlas Füße. Ob sie mich entdeckt? Ob sie böse wird? Aber sie ist weitergegangen, hat mich nicht gesehen, hat nicht mal hingeguckt, wie der Apfelgripsch vor ihre Füße geflogen ist. Nun trommelt Regen ans Fenster. Die Wiese um das Haus ist jetzt wohl wie ein nasser Schwamm. Draußen liegen keine Äpfel mehr; Witte, Frau Nielsens Sohn, hat alle aufgehoben und ins Haus getragen.
Der Sturm hatte die Äpfel gestern von den Zweigen gerissen, und niemand lässt in dieser Zeit Äpfel auf der Wiese liegen. Ich stütze das Kinn auf die braungestrichenen Fußbodenbretter. Wo sie aneinanderstoßen, bilden sie dunkle Linien. Ich sehe an ihnen entlang bis hinten an die Zimmerwand. Unterm Fensterbrett sind dunkle Flecken. Sie sehen aus wie große Schmetterlinge und glänzen vor Feuchtigkeit, denn bis dorthin reicht die Ofenwärme nicht. Mir macht das nichts aus, ich finde die Schmetterlinge schön. Aber Mutter mag sie nicht. »In den feuchten Räumen werden wir alle noch krank«, sagt sie. Im Schlafzimmer nebenan gibt es keinen Ofen, dort sind alle Wände feucht. Seit es draußen kühler geworden ist und oft regnet, fängt die Tapete sogar schon an zu schimmeln. Wir hatten uns die Wohnung viel schöner vorgestellt, als Vater von ihr erzählte. »Wir werden zwei Räume ganz für uns allein haben«, hatte er gesagt, »nachmittags scheint sogar die Sonne hinein, und ein paar Möbel will uns Frau Nielsen auch noch geben.« Als Vater das sagte, saßen wir auf den Strohsäcken im Flüchtlingslager, mit vielen anderen Flüchtlingen zusammen in einem Raum. Dort wohnten wir seit diesem Sommer, dort hatte unsere unfreiwillige Irrfahrt und Vertreibung aus unserem Heimatdorf in der Tschechoslowakei ein vorläufi ges Ende gefunden. Dort hatte uns auch Vater endlich wieder gefunden. Er war Soldat gewesen und hatte uns bei Kriegsende überall gesucht. Er wusste ja, dass wir aus unserem Heimatdorf vertrieben worden waren. Auch er hätte nicht mehr dorthin zurückkehren dürfen. Nun lebten wir im Lager, meine Eltern, meine Großmutter und wir Geschwister, Christel, Wolfgang und ich. Zuerst einmal waren wir froh, dass wir nicht mehr weiterfahren mussten, mit anderen Heimatvertriebenen zusammen in überfüllten Zügen. Wir waren froh, dass wir nicht mehr auf den Bahnhöfen schlafen mussten, wie wir es so oft getan hatten seit unserer Vertreibung. Doch nun war es schwer für Vater und Mutter, eine Wohnung zu finden.
Das Buch
3
Die Autorin
3
Vorwort
8
Teil I Wir werden uns wieder fi nden 1944 - 1945
6
Teil II Die Grenze – ich habe sie gespürt! 1945 - 1950
86