: Katja Kullmann
: Die Singuläre Frau
: Hanser Berlin
: 9783446273658
: 1
: CHF 13.60
:
: Gesellschaft
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In dem Bestseller 'Generation Ally' beschrieb Katja Kullmann, warum es so kompliziert ist, eine Frau zu sein. Zwanzig Jahre später erzählt sie, wie es ist, eine Frau ohne Begleitung zu sein.
Sie ist die Frau, der man nachsagt, dass sie kein Glück in der Liebe hat. Diejenige, die ihr Leben alleine regelt. Die Frau ohne Begleitung. Vom Bürofräulein der Weimarer Republik bis zur angeblich einsamen Akademikerin der Gegenwart - sie ist die wahre Heldin der Moderne: die Singuläre Frau.
Kurz vor ihrem fünfzigsten Geburtstag stellt Katja Kullmann fest, dass auch sie so eine geworden ist: ein Langzeit-Single. Die Erkenntnis ist ein kleiner Schock. Dann eine Befreiung. Und ein Ansporn - nicht nur für die schonungslose Selbsterkundung, sondern auch für eine Spurensuche. Welche literarischen, sozialen und popkulturellen Zeugnisse hat die Frau ohne Begleitung hinterlassen? Und wie könnte ihre Zukunft aussehen? Leidenschaftlich und eigensinnig führt Katja Kullmann uns zu einer radikalen Neubewertung der alleinstehenden Frau.

Katja Kullmann, 1970 geboren, lebt als Essayistin, Erzählerin und Journalistin in Berlin. Am liebsten schreibt sie über soziales Statusgerangel, Geschlechterfragen, die Arbeitswelt und die Populärkultur. Für den Bestseller Generation Ally. Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein erhielt sie 2003 den Deutschen Buchpreis. Die Singuläre Frau ist ihr fünftes Buch.

ENDLICH ANGEKOMMEN


Vielleicht beginnt die Geschichte, die ich erzählen will, an der Guillotine, mit der Hinrichtung einer zornigenSingle Mom, vor Hunderten von Schaulustigen, mitten in Paris.

Vielleicht startet sie in den Studierzimmern ehrgeizigerhöherer Töchter an der Ostküste derUSA.

Vielleicht nimmt sie in der europäischen Fischerei- und Textilindustrie ihren Lauf, in den überbelegten, schlecht belüfteten, kaum beheizten Unterkünften hart arbeitenderFabrikfrauen.

Vielleicht beginnt sie damit, dass ich als Grundschulkind lieber Cordhosen trug als Rüschenkleider, weil ich zu oft die »Rappelkiste«16 imTV geschaut hatte, eine optimistische Siebzigerjahresendung, in der Mädchen und Jungs gemeinsam im Matsch spielten, fast alle trugen sie androgyne Topfschnittfrisuren, von Weitem konnte man sie kaum unterscheiden, und sie kamen bestens miteinander klar.

Oder damit, dass junge Männer mich, als ich achtzehn, neunzehn war, wohl vor allem deshalb als Girlfriend in Betracht zogen, weil ichkeine Tussi war, wie sie es ausdrückten, damals, bei uns in Hessen, abschätzig gegenüber anderen jungen Frauen, voll des Lobes für mich, mit der sie über Musik reden konntenwie mit einem Mann. Ich war keine, die an ihnenhing wie eineKlette, so sprachen sie, sondern eine, die garantiert keine roten Rosen, keinen Liebesbrief, keinerlei Extras zum Valentinstag erwartete. Wie ihnen das gefiel. Und wie es mir gefiel, dass es ihnen so gefiel.

Oder die Geschichte beginnt damit, dass meine Mutter, eine Vollzeithausfrau mit starkem Willen und bescheidener Bildung, mir stets deutlich zu verstehen gab, wie stolz sie auf jede einzelne Eins in meinen Schul- und Unizeugnissen war. Und damit, dass sie, die mit neunzehn zum ersten Mal schwanger geworden war, mich noch vor meinem sechzehnten Geburtstag, bevor ich mit irgendeinem Jungen auch nur Händchen gehalten hatte, zu ihrem Frauenarzt mitnahm und durchsetzte, dass er mir die Pille verschrieb, damit ich ganz bestimmt keinefrühe Mutter würde und erstauf eigenen Beinen stünde, bevor ich mich um einen Mann und alles Folgende zukümmern hätte, und damit, dass sie mir Bücher zum Geburtstag schenkte, von denen sie auf den Literaturseiten derBrigitte gelesen hatte, lauter Erzählungen vonunabhängigen Frauen: »Ich, Tituba, die schwarze Hexe von Salem« von Maryse Condé; »Breaking Glass. Die unheimliche Karriere einer Rockband« von Susan Hill; »Memoiren einer Intellektuellen« von Mary McCarthy.

Oder damit, dass, als ich Mitte dreißig war, einer meiner vielen männlichen Freunde zu mir sagte: »Du wirst dich entscheiden müssen. Wenn du jetzt noch ein Buch schreibst, oder sogar zwei, wird’s eng. Das vertragen nicht viele Männer, wenn eine Frau sie in solchen Dingen überflügelt, glaub’s mir, ich bin selber einer. Sie werden dich weiterhin ficken wollen, darauf kannst du wetten, aber heiraten werden sie was anderes.«

Vielleicht beginnt die Geschichte, die ich erzählen will, damit, dass ich mit den Schultern zuckte und »So what?« zu dem Freund sagte und mit einer lässigen, schlanken Handbewegung zwei Gin Tonic nachbestellte, praktisch wie im Film, und mir von außen, oben dabei zusah, »Geht auf mich!«.

An irgendeinem Punkt muss ich anfangen. Ich entscheide mich für die gerade erst vergangene Gegenwart.

»KARRIEREFRAU« WÄRE ZU VIEL GESAGT


Der Tag, an dem ich die alleinstehende Frau in mir erkannte, war ein nasskalter Freitag ohne sonstige Reize. Einer Bürokollegin habe ich die Einsicht zu verdanken. Sie ist achtzehn Jahre jünger als ich, stand kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes und hatte, da sie monatelang in die Elternzeit verschwinden würde,einen spontanen Abschiedslunch zu zweit vorgeschlagen. Jenes Mittagessen brachte die Dinge ins Rutschen, vielmehr: meinen Geist in Bewegung.

Äußerst ungern verbringe ich meine Mittagspause in Gesellschaft, und vielleicht sollte ich zunächst erklären, warum das so ist, wie und womit ich mein Geld verdiene. Als leitende Angestellte bin ich in einem Betrieb mit zweihundertvierzig Beschäftigten tätig, in einer Firma, die Nachrichtenim- und -export betreibt und dabei weltverbesserische Absichten verfolgt, weshalb das Duzen Pflicht und die Gehälter exorbitant niedrig sind. Meine Jobbeschreibung besagt, dass ich die publizistische Produktion am Laufen zu halten habe, und zwar auf dieteamorientierte Art. Daher verbringe ich täglich neun bis zehn Stunden damit,Projektgruppen undMeetings einzuberufen, daher reden zwischen acht und achtzehn Uhr Menschen hektisch auf mich ein, und ich rede hektisch zurück und versuche, motivierende Zuversicht zu streuen. Ginge es nach mir, würde ich ohne Mätzchen einfach durchregieren. Aber so macht man es heute nun mal nicht mehr. Eine weiblichere Arbeitswelt haben wir jetzt, heißt es, auf die Menschlichkeit komme es an. In der Quintessenz bedeutet dies, dass ich mir keinen einzigen Tag mit schlechter Laune leisten kann.

»Arbeit ist grundsätzlich Frauenarbeit geworden, selbst die der Männer. […] Besonders junge weibliche Singles sind extrem wichtig für das Wachstum. […] Frauen werden dazu angehalten, sich selbst als Menschen mit guten Kommunikationsfähigkeiten zu sehen, ›wie geschaffen‹ für die Arbeit in Agenturen und Callcentern«,

schreibt die britische Philosophin Nina Power in ihrem Essay »Die eindimensionale Frau«17, und ich erkenne meinen Job beziehungsweise mich in meinem Job darin wieder. Fürtypisch weibliche Qualitäten werde ich bezahlt,diplomatisches Geschick,psychologisches Einfühlungsvermögen, unerschütterliche Umsicht. Tough soll eine weibliche Führungskraft sein, aber nichtbiestig. Bestens informiert, aber um Himmels willen nichtbesserwisserisch. Gernengagiert, aber bitte keineFurie. Das verbindende Glied, das inspirierend wirkt, stets ein offenes Ohr hat und seine Eigeninteressen zurückzustellen weiß —die perfekte Mutter. Zum Ausgleich für den Performancedruck gönne ich mir diesen einen Luxus: eine halbe Stunde zwischen zwölf und zwei, während der ich nichts von alldem hören will, während der man mir besser aus dem Weg geht. Ich bin die, die alleine isst. 

Da es aber nun mal der letzte Bürotag der Kollegin war, gab ich ihrer Bitte um eine gemeinsame Pause nach. Ihre Anhänglichkeit rührte mich, und auch sonst fand ich sie nicht uninteressant.

Die Kollegin zählte zu den besonders Eifrigen in der Belegschaft, war gewissermaßen einHigh Potential im Betrieb, eine der auf zornige Art schlauen jungen Frauen, die funkelnde kleine Metallstecker in ihren Nasenflügeln tragen und große Margarete-Stokowski-Verehrung in ihren Herzen. Sie ließen sich nicht die Hälfte dessen gefallen, was ich alsweibliches Jungtalent noch hingenommen hatte. In ihren Artikeln erklärten sie messerscharf, wie Sexismus und Rassismus zusammenhingen, warum sieVulva für ein besseres Wort alsVagina hielten, welche Fallen dieCare Work mit sich brachte,die Arbeit, die man erst bemerkt, wenn sie nicht erledigt ist18, und wiesen unermüdlich auf dasPay Gap hin, das schier unausrottbare Einkommensgefälle zwischen weiblichen und männlichen Erwerbstätigen. Sie operierten nicht mehr mit dem Binnen-I, sondern mit Unter_strichen, Stern*chen und Doppel:punkten, um auch trans Personen und solche, die weder Frau noch Mann waren oder sein wollten, in ihren gerechten Zorn zu inkludieren, und bluteten für SelbstversuchsreportagenMenstruationstassen inMenstruationszelten voll (»Du meine Güte, bitte nicht zurück zum Mondphasen-Feminismus!«, entfuhr es mir einmal in einer Sitzung). In ihren Kolumnen diskutierten sie überbody politics,body shaming,body positivity, verwarfen vieles, kaum dass sie einen neuen#Hashtag in die Welt gesetzt hatten, wieder und bezeichneten sogenannteBeziehungstaten nicht mehr alsBeziehungstaten, sondern als das, was sie de facto meist waren: Femizide,...