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Er ist gekidnappt worden, er hat erlebt, wie Menschen gefoltert wurden, er ist nur knapp dem Tod entronnen.
Der junge Mann, der an diesem Morgen das Klassenzimmer betritt, hat schwarze Augen, in denen ein unergründlicher Schimmer liegt. Er ist ein mittelgroßer, schlanker Junge, der ein breit gestreiftes T-Shirt und einen Ring am Zeigefinger trägt. Seine olivbraunen Wangen haben Schattierungen, die wie Narben aussehen. Und nach allem, was er erlebt hat, ist es wahrscheinlich, dass es Narben sind.
Berhe Gonetse ist 18 Jahre alt, und es ist klar, dass das Schimmern in seinen Augen die Dinge widerspiegelt, die er auf der Flucht gesehen hat. Damals, als er in der Geiselhaft von Beduinen war.
»Da war eine große Grube, in die sie die Toten geworfen haben. Die Beduinen scherten sich um alles einen Dreck, sie taten, was sie wollten. Sie vergewaltigten die Frauen und wenn die Frauen schwanger wurden, ließen sie viele während der Schwangerschaft sterben.«
Berhe Gonetse spricht gut Hebräisch, mit einer ernsten Coolness. Er hat Glück gehabt, ist 2011 nach seiner Odyssee durch den Sudan und Ägypten nach Israel gelangt, wo er in das Saharonim-Gefangenenlager in der Negev-Wüste gebracht wurde.
»Ich war dreizehneinhalb, aber weil ich jünger aussah und keinen Pass hatte, habe ich mich für elf ausgegeben. Da haben sie gesagt, du kommst in ein Internat.«
Als er die Altersschummelei erwähnt, schleicht sich ein Lächeln in sein Gesicht. Es tastet sich tatsächlich voran, stiehlt sich auf Zehenspitzen in seine Züge, wie ein Tier, das auf der Hut ist und prüft, ob die Luft rein ist.
Denn auch das ist klar: Er wäre an diesem Morgen nicht in die Schule gekommen, wenn da nicht die Frau mit den schwarzen schulterlangen Haaren wäre, die nun an seiner Seite steht. Auch sie hat tiefschwarze Augen, aber sie sind von