: Bernhard H. F. Taureck
: Michel Foucault
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644007963
: 1
: CHF 6.00
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Michel Foucault (1926-1984), der anregende und umstrittene Querkopf, hat vor allem in seinen Studien «Überwachung und Strafen» und «Psychologie und Geisteskrankheit» die dunklen Hintergründe der Moderne ausgeleuchtet. Gilt sie weithin als Projekt der Humanisierung aller Lebensbereiche, so erkennt Foucault dagegen in der Moderne zur Macht gewordenes Wissen. Mit ihm können einzelne wie Gruppen aus der Gesellschaft ausgeschlossen und unterdrückt werden. Foucaults Machtanalysen haben an wissenschaftlicher Brisanz nichts eingebüßt. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Bernhard H. F. Taureck ist Philosophieprofessor i. R. (Universität Braunschweig). Er ist, neben zahlreichen Aufsätzen und Artikeln, unter ihnen Texte in englischer, französischer oder spanischer Sprache, Autor und Herausgeber von mehr als 30 Büchern. Zuletzt erschien: «Hamlet. Widerstand gegen den Überwachungsstaat» (Weilerswist 2017). «Drei Wurzeln des Krieges und warum nur eine nicht ins Verderben führt» (Zug 2019). Zusammen mit Burkhard Liebsch: «Drohung Krieg. Sechs philosophische Dialoge zur Gewalt der Gegenwart» (Wien/Berlin 2020). Für «rowohlts monographien» schrieb er die Bände über Michel Foucault (rm 50506, 1997) und Jean-Jacques Rousseau (rm 50699, 2009).

Die Krisen des Anfangs


Paul-Michel Foucault wurde am 15. Oktober 1926 in Poitiers als zweites von drei Kindern geboren. Zu seiner Generation gehören unter anderen Jürgen Habermas (geb. 1929), Leszek Kolakowski (geb. 1927) oder Noam Chomsky (geb. 1928). Sein Vater und dessen männliche Vorfahren waren Ärzte. Zwei Brüder seiner Mutter dagegen betätigten sich als publizierende Philosophielehrer bzw. als Herausgeber der Werke von Rabelais und Montaigne. Die Familie Foucault war wohlhabend und in Poitiers sehr angesehen.

Kindheit und Studienzeit zeigen sich Foucault in einem späten Rückblick von 1982 als wenig glücklich:Ich habe meine Kindheit in einem kleinbürgerlichen Milieu – dem des Frankreich der Provinz – verbracht. In seinem Elternhaus herrschteeine Verpflichtung zu sprechen, mit den Besuchern Konversation zu treiben. Foucault, dessen Interviews den größten Teil seiner in vier Bänden gesammelten Gelegenheitsäußerungen ausmachen, fand die Sprechverpflichtung seiner Kindheitsehr seltsam und sehr ärgerlich und spricht sich füreine Kultur des Schweigens oder für einEthos des Schweigens aus.

Der Rückblick auf die Kindheit in Poitiers am Vorabend des Zweiten Weltkriegs führt jedoch nicht nur zu Vorzügen des Schweigens, sondern zu einer sehr frühen Erfahrung von Politik und Geschichte, nämlich den Auswirkungen des europäischen Faschismus:Ich erinnere mich sehr gut, daß ich einen meiner ersten großen Schrecken erlebte, als der Kanzler Dollfuß von den Nazis ermordet wurde. Das war, glaube ich, 1934. […] Ich denke, daß ich dabei meine erste große Todesangst gefühlt habe. Ich erinnere mich auch an die Ankunft der spanischen Flüchtlinge in Poitiers. Und daran, daß ich mich in der Klasse mit meinen Schulkameraden über den Äthiopienkrieg gestritten habe. Ich denke, daß die Jungen und Mädchen meiner Generation eine von diesen großen historischen Ereignissen bestimmte Kindheit hatten. Der drohende Krieg war unser Hintergrund, war der Rahmen unseres Daseins. Dann kam der Krieg. Weitaus mehr als das Familiengeschehen waren es diese weltrelevanten Geschehnisse, die die Substanz unserer Erinnerung bilden. Ich sage «unser» Gedächtnis, weil ich fast sicher bin, daß die Mehrzahl der jungen Franzosen und Französinnen dieser Epoche dieselben Erfahrungen machten. Auf unserem Privatleben lastete eine echte Bedrohung. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb ich von der Historie fasziniert bin und von der Beziehung zwischen Privaterfahrung und den Ereignissen, in die wir uns einschreiben. Dort liegt, denke ich, der Kern meiner theoretischen Bestrebungen.

Foucault entschließt sich 1937 nicht, wie sein Vater erwartet, Arzt, sondern Historiker zu werden. Dies aber wird als einfür die Familie inakzeptabler Status betrachtet, jedenfalls solangeman nicht an der Sorbonne ist. Auf Bitten der aus einer voltairianisch-aufgeklärten Familie stammenden Mutter gibt der Vater nach. Foucaults 1933 geborener Bruder Denys wird die väterliche Mediziner-Tradition fortsetzen. Foucault selbst