: Robert C. Marley
: Inspector Swanson und die Hexe von Bray Ein viktorianischer Krimi
: Dryas Verlag
: 9783986720186
: 1
: CHF 6.50
:
: Historische Kriminalromane
: German
: 280
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
London 1896 - Im Crystal Palace Park stirbt eine Frau unter den Rädern einer neuartigen Motordroschke - ein tragischer Unfall, wie es scheint. Doch Chief Inspector Swanson schöpft Verdacht, denn der Bruder der Toten ist kurz zuvor spurlos und unter mysteriösen Umständen aus dem Gefängnis in Wicklow verschwunden. Als dann unweit der Haftanstalt - in dem kleinen irischen Küstenstädtchen Bray - die verstümmelte Leiche eines seit Monaten vermissten Mannes inmitten okkulter Symbole gefunden wird, haben selbst die irischen Behörden nur eine Erklärung: Die berüchtigte Hexe von Bray sucht sich nach zwanzig Jahren abermals ihre Opfer. Inspector Swanson und sein Team werden nach Irland geschickt, um dem Spuk ein Ende zu bereiten ...

Robert C. Marley, geboren 1971, ist Autor, Kriminalhistoriker, Goldschmiedemeister und Mitglied des Syndikats - der Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren. Seit seiner Jugend liebt er Sherlock Holmes und Agatha Christie und besitzt ein privates Kriminalmuseum. Der Autor lebt mit seiner Jugendliebe und einer schwarzen Katze in einer sehr alten Stadt in Ostwestfalen.

PROLOG

» Magie ist eine große verborgene Weißheit

Verstand ist eine große offene Torheit.«

Paracelsus (1493–1541)

Gefängnis Reading, Zelle C.3.3.

Oscar Wilde saß am Tisch und dachte über die vergangenen Monate nach. Die ersten sechs nach seiner Inhaftierung hatte er in Pentonville und Wandsworth eingesessen, ehe man ihn nach Reading gebracht hatte. Mit dem Zug und ohne ihn von der schaulustig kreischenden Menge abzuschirmen. Auf dem Bahnsteig von Clapham Junction war er bepöbelt und angespuckt worden, ohne dass die Beamten, in deren Gewahrsam er sich befand, etwas dagegen getan hatten.

Das ewige Einerlei des Tages, der Wochen, der Monate hatte ihn mürbe gemacht. Wenn er sich im Spiegel ansah, blickte er in das Gesicht eines alten Mannes mit bleichen eingefallenen Wangen und kurz geschorenem Haar. Er war grauer geworden. Doch war es nicht das Grau des Alters, sondern das der Scham, der Resignation, der Hoffnungslosigkeit. Jene Spielart des Grau, die sich nicht auf das Haar beschränkte. Jene Spielart des Grau, die sich auf der Haut niederschlug und in die Seele brannte.

Die ersten Monate waren die Schlimmsten gewesen. Von früh bis spät war er damit beschäftigt gewesen, Bruchsteine von einem mächtigen Haufen abzutragen und sie auf die andere Seite des Gefängnishofs zu schleppen.

Schwere Zwangsarbeit.

Als er noch nichts davon wusste, hatte er in seiner unsäglichen Naivität angenommen, körperliche Arbeit könne der Gesundheit zuträglich sein, würde seine Muskeln stärken und ihn ein paar Kilo verlieren lassen. Doch es war keine solche Arbeit. Er entsann sich noch genau des schrecklichen Gefühls der Überraschung und des Entsetzens, das ihn übermannt hatte, als er beinahe euphorisch den letzten Stein packte, um ihn zu den anderen zu tragen, und der Wärter ihn mit kalter Stimme anwies, ihn liegen zu lassen.

»Warum?«, hatte er ihn fragen wollen. Allein die Kraft hatte ihm gefehlt, den Mund aufzutun.

Mit der Hand auf dem Griff des Schlagstocks an seinem Gürtel hatte der Wärter ihn angesehen, derweil der Hauch von Häme dessen Lippen zu kräuseln schien. Und dann hatte er die fünf erbarmungslosen Wörter gesagt: »Und nun alle wieder zurück.«

Von früh bis spät, tagaus tagein, Woche für Woche, Monat um Monat.

Arbeit, die einen auszehrte in ihrer Sinnlosigkeit, die, anstatt die Muskeln zu stählen, nach und nach die Kraft aus ihnen saugte.

Vom Gang vor seiner Zelle drangen die Rufe der Wärter, das Rasseln der Schlüssel und das Klirren der Türen. Draußen auf dem Hof zog die Prozession der Narren ihre Runde. Eine halbe Stunde Hofgang in Wechselschichten.

Schlimmer noch als die Steine waren die Dienste auf der Tretmühle – dem Rad, wie es hier genannt wurde. Vier Mann in einer Reihe, je zwei Griffe für die Hände, und dann stundenlang Stufe um Stufe erklimmen, das Rad in sinnloser Bewegung halten, bis man entweder abgelöst wurde oder ohnmächtig zusammenbrach. Die, die zu oft Schwäche gezeigt hatten, oder sich schreiend