: Horst Hawemann
: Chistel Hoffmann
: Horst Hawemann - Leben üben Improvisationen und Notate
: Verlag Theater der Zeit
: 9783957490049
: 1
: CHF 10.90
:
: Musik, Film, Theater
: German
: 230
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Für den großen Theaterlehrer Horst Hawemann, Regisseur und langjähriger Lehrer an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst 'Ernst Busch' in Berlin, war das Leben selbst die unerschöpfliche Quelle für das Handeln auf der Bühne. Wie kaum ein anderer hat er es verstanden, mit Alltagssprache zu spielen. Den stattlichen Fundus seiner praktischen Übungen und 'Nummern', die er den Spielern im Unterricht und auf der Probe angeboten hat, führt nun dieses Buch erstmals zusammen, begleitet von Kommentaren, in denen er seine 'improvisierende Methode' erläutert. Ein unentbehrliches Übungsbuch für den Schauspielunterricht, die Improvisation oder beim Inszenieren.

Horst Hawemann (1940 - 2011), Regiestudium u. a. bei Gontscharow an der Theaterhochschule in Moskau, danach langjähriger Oberspielleiter am Theater der Freundschaft (heute Theater an der Parkaue) in Berlin. Neben einem festen Engagement an der Berliner Volksbühne war er überwiegend freiberuflicher Regisseur. 1988 wurde seine Schweriner Inszenierung 'Der Selbstmörder' von Nikolai Erdman zum ersten gesamtdeutschen Berliner Theatertreffen eingeladen. Seit 1990 Lehrtätigkeit an der Schauspielschule 'Ernst Busch', an der Filmhochschule Potsdam, an den Instituten für Theaterpädagogik der Universität der Künste Berlin und der Fachhochschule Osnabrück. Christel Hoffmann, Professorin h.c. an der Fachhochschule Osnabrück. In den 1960er und 70er Jahren Chefdramaturgin am Theater der Freundschaft, wo sie mit Horst Hawemann zusammengearbeitet hat. Lehraufträge und Workshops zur Theaterpädagogik im In- und Ausland.

II


DIE SAMMLUNG


„Umquatschen“ oder Der gesammelte Held


In Vorbereitung einer Szene beschäftigen wir uns mit dem„Helden“, also mit einem Typ, der durch besondere Taten im Guten wie im Bösen auffällig geworden ist. Uns interessiert, was sich unter dem Begriff angesammelt hat. Was vorhanden ist. Wir sind nicht heldenspezifisch vorbereitet, sortieren nicht vor, uns reichen auch Schlagwörter, und wir verzichten auf umfassende Definitionen.

Es ergeht also der Auftrag:„Umquatscht den Helden!“. Man fordert die Spieler auf, was sie im Momentüber den Helden wissen, gnadenlos, bedenkenlos und flott auszupacken. Das entlastet den Spieler zunächst mal von einer Bedeutungsanalyse. Er„quatscht“ ja nur. Man lässt jeden so lange quatschen, bis er glaubt, er hat sich am Helden entleert, denn„darüber reden“ wäre schon eine Aufforderung zur Auswahl und Bewertung, die bremsen kann. Dann kommt der nächste Sammler. Die Spieler werden am Anfang nur das bequatschen, was sie im Augenblick zur Hand haben, das heißt die Oberflächen des Begriffes abtasten. An der Oberfläche sind alle Leute, auch Helden, ziemlichähnlich. Erst in der Tiefe unterscheiden sie sich. Wenn man in die„Krise” kommt, wenn man meint, man weiß im Augenblick nichts mehr zu dem Begriff, ist man aufgefordert, zu suchen und nach Resten zu kramen. Der Held macht jetzt Mühe.

Wenn du denkst, du bist fertig, mach weiter. Wenn du denkst, das war alles, finde mehr! Wenn du denkst, du redest Unsinn, entwickle das. Vielleicht wird es Sinn. Aus der„Krise“ helfen Entdeckungen heraus, wohl auch Erfindungen. Die Krise ist eine Aufforderung zum Weitermachen. Sie zwingt mich nicht. Sie macht mich neugierig auf mich. Was man dann noch findet, dasüberrascht, weil man sich fast sicher war, da sei nichts mehr. Das aktiviert. Wichtig ist, dass man an dem Begriff„Held”, den man zu kennen glaubte, von dem man meinte, viel zu wissen, in der Beschäftigung plötzlich erfährt, dass man nicht alles von ihm weiß, sogar zu wenig. In diesem Moment wird es für den Spieler interessant, weil er bemerkt, dass sich das Erinnern lohnt, das Weitermachen.

Man kann sich bei den Findungen unterstützen, indem man die berühmten W-Fragen stellt: Wer? Wann? Wo? Wie? Was? Warum? Also: Wer war wann, warum, wo, wie, was für ein Held? Was ist zum Beispiel ein„Warum-Held“ oder ein„Darum-Held“?

Beispiel:

Der stille Ferdinand (wer) wurde lautstark (wie) als Held bejubelt (was), weil er zur falschen Zeit (wann) am falschen Ort (wo) das Maul aufmachte und nicht wieder zu (warum).

Das„Umquatschen“ kann durchaus auch beim Nonsens landen. Nonsens ist eine besondere Entwicklungsform des Sinns. Oder es verliert sich in tieferem Nachdenken. Mit der Zeit entsteht so ein„Helden-Haufen“. Sammlungen sind ein benutzbarer Haufen, aus dem sich die Spieler später, auswählend, bedienen können. Dieser Haufen begleitet die ganze weitere Arbeit, denn alles, was ich und andere einmal gedacht und gesagt haben, bleibt im Gedächtnis und steht der Darstellung zur Verfügung. Es wird jeder, der daran beteiligt ist, seine bisherige Kenntnisüber Helden und seine Mitteilungen darüber in Beziehung setzen können zu dem Wissen anderer.

Das Quatschen ist ein Erspielen, nicht ein Vortrag, nicht Definition, kein Statement. Der Haufen muss nicht gleich durch Be- und Auswertung verkleinert werden&nda