Vorwort von Dr. Greger
Alles begann mit meiner Großmutter.
Ich war noch ein Kind, als die Ärzte sie in einem Rollstuhl zum Sterben nach Hause schickten. Mit der Diagnose „Herzerkrankung im Endstadium“ hatte sie bereits so viele Bypass-Operationen hinter sich, dass den Chirurgen buchstäblich das Arbeitsmaterial ausging – das Narbengewebe, das von all diesen Operationen am offenen Herzen zurückgeblieben war, machte jeden weiteren Eingriff immer schwieriger, bis am Ende kaum noch Optionen blieben. Die Ärzte eröffneten meiner Großmutter, die an den Rollstuhl gefesselt war und unter unvorstellbaren Schmerzen litt, dass sie kaum noch etwas für sie tun könnten. Mit fünfundsechzig Jahren war ihr Leben vorbei.
Ich glaube, dass bei vielen Kindern wahrscheinlich dann der Wunsch geweckt wird, Arzt oder Ärztin zu werden, wenn sie beobachten, wie ein geliebter Mensch krank wird oder sogar stirbt. Bei mir war es genau andersherum: Es begann, als ich sah, wie es meiner Großmutter immer besser ging.
Kurz nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde, um ihre letzten Tage zu Hause zu verbringen, lief eine Sendung über Nathan Pritikin im TV, einen frühen Pionier derLifestyle Medicine, der bereits berühmt dafür war, auch Herzkrankheiten im Endstadium zu heilen. Er hatte gerade ein neues Behandlungszentrum in Kalifornien geöffnet, und meine Großmutter machte sich in ihrer Verzweiflung quer durchs Land auf den Weg zu ihm, um zu einer seiner ersten Patientinnen zu gehören. Bei diesem stationären Programm wurden alle Teilnehmer auf eine pflanzenbasierte Diät gesetzt und begannen mit einem stufenweisen Training. Sie rollten meine Großmutter hinein, und sie lief selbst wieder heraus.
Das werde ich niemals vergessen.
Sie tauchte sogar in Pritikins BiografiePritikin: The Man Who Healed America’s Heart auf. Meine Großmutter wurde als „Todesschwellen-Kandidatin“ beschrieben:
Frances Greger aus Nord-Miami, Florida, kam bei einem von Pritikins frühen Treffen in Santa Barbara im Rollstuhl an. Mrs. Greger litt an einer Herzerkrankung, an Angina und Claudicatio. Ihr ging es so schlecht, dass sie nicht mehr ohne große Schmerzen in Brust und Beinen laufen konnte. Innerhalb von drei Wochen hatte sie es allerdings nicht nur aus ihrem Rollstuhl heraus geschafft, sondern lief ganze zehn Meilen am Tag.1
Als Kind war das für mich alles, was zählte. Ich konnte wieder mit meiner Oma spielen. Doch im Laufe der Jahre begann ich die fundamentale Bedeutung hinter diesen Ereignissen zu verstehen. Zu jener Zeit glaubte die Ärzteschaft nicht, dass Herzerkrankungen reversibel seien. Den Patienten wurden Medikamente verabreicht, um das Fortschreiten der Krankheit aufzuhalten, und bei Operationen Bypässe um die verstopften Arterien gelegt, um die Symptome zu lindern, doch allgemein wurde erwartet, dass die Krankheit sich verschlimmern und schließlich zum Tod führen würde. Heute allerdings wissen wir, dass unser Körper beginnen kann, sich selbst zu heilen, sobald wir mit der arterienschädlichen Ernährung aufhören und sich die Arterien in vielen Fällen ganz ohne Hilfe von Medikamenten oder Operationen wieder öffnen.
Meine Großmutter bekam ihr medizinisches Todesurteil mit fünfundsechzig Jahren. Dank einer gesunden Ernährungs- und Lebensweise konnte sie aber noch weitere einunddreißig Jahre mit ihren sechs Enkelkindern auf dieser Welt genießen. Die Frau, der Ärzte gesagt hatten, sie hätte nur noch wenige Wochen zu leben, starb erst mit sechsundneunzig Jahren. Ihre fast wundersame Genesung inspirierte nicht nur einen ihrer Enkel, eine medizinische Laufbahn einzuschlagen, sondern schenkte ihr auch noch genügend gesunde Lebensjahre, um mitzuerleben, wie er seinen Abschluss machte.
Als ich Arzt wurde, hatten Koryphäen wie Dr. Dean Ornish, Präsident und Gründer des gemeinnützigenPreventive Medicine Research Institute, bereits ohne jeden Zweifel nachgewiesen, was Pritikin vorher bereits gezeigt hatte. Dr. Ornish und seine Kollegen bewiesen unter Zuhilfenahme der neuesten Spitzentechnologie – Herz-PET-Scans,2 quantitative Koronararteriografie3 und Radionuklid-Ventrikulografie4 – dass sich Herzerkrankungen, die Todesursache Nummer 1 der westlichen Welt, durch die richtige Ernährungs- und Lebensweise unbestreitbar kurieren lassen.
Die Forschungsergebnisse von Dr. Ornish und seinen Kollegen wurden in einigen der angesehensten medizinischen Fachzeitschriften der Welt publiziert. Nichtsdestotrotz änderte sich kaum etwas an der medizinischen Praxis. Warum? Warum verschrieben Ärzte immer noch Medikamente und operierten an verstopften Arterien herum, nur um die Symptome von Herzerkrankungen zu behandeln und hinauszuzögern, was sie selbst für unausweichlich hielten: einen frühzeitigen Tod?
Das war mein Weckruf. Ich stellte mich der deprimierenden Tatsache, dass in der Medizin neben der Wissenschaft noch ganz andere Kräfte am Werk waren. Das US-amerikanische Gesundheitssystem basiert auf einem Geld-gegen-Dienstleistung-Modell, in dem Ärzte für die Medikamente und Behandlungen bezahlt werden, die sie verschreiben, und Quantität statt Qualität belohnt wird. Wir bekommen keine Vergütung für die Zeit, in der wir unsere Patienten über die Vorteile einer gesunden Ernährung aufklären. Wenn Ärzte aber für ihre Leistung bzw. Erfolge bezahlt würden, gäbe es einen finanziellen Anreiz, die Ursachen von Krankheiten anzugehen, die durch eine ungesunde Lebensweise entstehen.
Solange aber das gegenwärtige Entlohnungsmodell bestehen bleibt, erwarte ich keine großen Veränderungen in der medizinischen Versorgung oder Lehre.5
Nur ein Viertel aller medizinischen Fakultäten in den USA scheinen auch nur einen einzigen Kurs zum Thema Ernährung anzubieten.6 Ich erinnere mich, dass einer der Prüfer während meines ersten Aufnahmegesprächs für eine medizinische Fakultät, die der Cornell University, nachdrücklich erklärte: „Die Ernährung spielt keine Rolle für die menschliche Gesundheit!“ Und dieser Mann war Kinderarzt! Da wusste ich, dass noch ein langer Weg vor mir lag. Übrigens war der einzige Mediziner, der mich je nach den Ernährungsgewohnheiten eines Familienmitglieds fragte, unser Tierarzt.
Ich bekam von neunzehn verschiedenen medizinischen Fakultäten die Zulassung zum Studium. Ich entschied mich für die Tufts University, weil es dort die umfangreichste Ausbildung im Bereich Ernährung gab: ganze einundzwanzig Stunden, was gerade einmal einem Prozent des gesamten Curriculums entsprach.
Während meiner Ausbildung bekam ich zahllose Einladungen zum Steak-Dinner und alle möglichen tollen Zuwendungen von Pharmavertretern angeboten, doch von der bio-veganen Landwirtschaft hörte ich nie etwas. Es gibt gute Gründe dafür, warum Sie im Fernsehen ständig Werbungen für die neuesten Medikamente sehen: Sie werden von großen Konzernen mit dem entsprechenden Budget fleißig beworben. Aus denselben Gründen werden Sie vermutlich nie einen kommerziellen Werbespot für Süßkartoffeln im TV sehen, noch werden die neuesten Erkenntnisse über den starken Einfluss von Lebensmitteln auf Gesundheit und Lebensdauer an die Öffentlichkeit dringen. Damit lässt sich kaum Gewinn machen.
Beim Studium und auch im Rahmen unserer dürftigen Kurse in Ernährungswissenschaft wurde die Möglichkeit, chronische Erkrankungen mit einer bestimmten Ernährung zu behandeln oder sogar zu heilen, nicht einmal erwähnt. Ich wusste nur aufgrund meiner Familiengeschichte davon.
Eine Frage trieb mich während meines Studiums daher besonders um: Wenn die Heilungsmöglichkeit für unsere Todesursache Nummer 1 in der Versenkung verschwindet, was liegt dann noch tief in der medizinischen Fachliteratur begraben? Ich machte es zu meiner Aufgabe, genau das herauszufinden.
Die meisten meiner Jahre in Boston verbrachte ich beim Durchsuchen staubiger Regale im Keller von Harvards Countway Library of Medicine. Ich begann als Arzt zu arbeiten, doch egal wie viele Patienten ich jeden Tag in der Klinik sah, und auch wenn es mir gelang, das Leben ganzer Familien auf einmal zu verändern, wusste ich doch, dass dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein war. Also zog ich los.
Mithilfe der American Medical Student Association machte ich es zu meinem Ziel, alle zwei Jahre Vorträge an jeder medizinischen Fakultät in den USA zu halten, um eine ganze Generation neuer Ärzte zu beeinflussen. Ich wollte nicht, dass auch nur ein weiterer Mediziner seinen Abschluss ohne dieses Wissen machen würde – das Wissen um die Macht von Lebensmitteln. Wenn meine Großmutter nicht an Herzin