Unter allen Bildern, welche die Geschichte darbietet, zieht wohl keines eine allgemeinere und regere Aufmerksamkeit an sich, als das Bild des Menschen in der Verschiedenheit seiner Lebensweise nach der verschiedenen Beschaffenheit der leblosen und lebendigen Natur um ihn her, unter deren unaufhörlichem Einwirken er lebt. Gefesselt von dem Interesse, das den Menschen jedes Erdstrichs und jedes Jahrhunderts an den Menschen knüpft, stellt der betrachtende Forscher ferne, längst hingeschwundene Geschlechter neben sich und seine Zeitgenossen, vergleicht mit prüfendem Blick ihr inneres Dasein, ihre Empfänglichkeit für äußere Eindrücke, ihre Fähigkeit den empfangenen Stoff in ihr Eigentum zu verwandeln, und mit bereicherter Ideenfülle, und verstärkter Empfindungskraft eigene Schöpfungen hervorzubringen, ihre äußere Lage, die Welt, die sie umgibt, und die Gestalt, zu der sie sie umbilden, den Genuss, den sie aus den Gaben des Schicksals und aus den Früchten ihrer Tätigkeit ziehen. Bald sieht er aus seiner Lage, mit seinen Gesichtspunkten auf die Vorzeit hin, bald versetzt ihn seine Phantasie selbst in dieselbe, und eignet ihm den Gesichtspunkt, den ehmals ihre Wirklichkeit gab, und so wägt er unrichtiger oder richtiger das Gute und Beglückende jedes Jahrhunderts, genießt jetzt des frohen Bewusstseins des eigenen Vorzugs, und jetzt wieder des wehmütigeren und dennoch süßen Gefühls, dass eine Trefflichkeit hoher beseligender Schönheit einmal blühte und nun nicht mehr[6]ist! Wenn er auf diese Weise die Schicksale der Nationen von Epoche zu Epoche verfolgt, so kann ihm der Zusammenhang nicht entgehen, der, bald wirklich, bald scheinbar, jede Begebenheit mit allen folgenden verbindet. Schon der eigentümlichen Natur des menschlichen Geistes nach, der unaufhörlich das Allgemeine sucht, und das Einzelne in ein Ganzes zusammenzufassen strebt, wird er alle zerstreuten Züge in Ein Gemälde sammlen, und der wechselnde Gang aller Schicksale der Erde und ihrer Bewohner wird in seinen Augen zu Einer großen, unzertrennbaren Einheit werden. Wenngleich freilich kein einzelnes Geschöpf die Umwandlungen dieses Ganzen in ihrer Folge erfährt, wenn selbst die leblose Natur, die ihr Schauplatz ist, nicht unverändert bleibt, der Boden, der den Enkel nährt, nicht mehr derselbe ist, den der Ahnherr betrat, und selbst die innerste Felsmasse unsrer Erdkugel vielleicht dem unaufhörlichen Flusse alles Endlichen folgt; so schlingt sich doch mitten durch allen diesen Wechsel hindurch, einer ununterbrochenen Kette gleich, die Reihe der aufeinander folgenden Menschengeschlechter, so erhält sich doch das, was, allein ewig und unvergänglich, den hinfälligen Stoff seines Urhebers überlebt, der Vorrat von Ideen, den die Vorwelt auf die Nachwelt vererbt. An diesen Fäden verfolgt der philosophische Geschichtsforscher oft die Revolutionen des Menschengeschlechts, füllt mit Hypothesen die Lücken, welche die Überlieferung lässt, sieht aus der Vergangenheit die Gegenwart entspringen, ahndet aus dieser die nun neu sich entwickelnde Zukunft, sucht das Ziel zu bestimmen, dem dies ewig rege wirksame Ganze nachstrebt, und erklärt den gleichen abgemessenen For