: Ludger Tebartz van Elst, Monica Biscaldi-Schäfer, Claas Lahmann, Andreas Riedel, Almut Zeeck
: Entwicklungsstörungen Interdisziplinäre Perspektiven aus der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalters
: Kohlhammer Verlag
: 9783170346635
: 1
: CHF 59.00
:
: Medizin
: German
: 412
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Entwicklungsstörung n zeigen sich in der Regel früh in der Entwicklung eines Menschen und sind lebenslang im Sinne persönlichkeitsstruktureller Merkmale vorhanden, die von leichter Beeinträchtigung bis zu schwerer Behinderung reichen können. Sie liegen allen weiteren biografischen, psychodynamischen und psychobiologischen Prozessen zugrunde. Autismus, ADHS, Tic-Störungen und Intelligenzminderungen sind dabei oft mit einem spezifischen Stärken- und Schwächenprofil verbunden und gehen mit typischen psychosozialen und sozialkommunikativen Problem- und Konfliktkonstellationen einher. Diese wiederum können sekundär zu psychischen Belastungen und Störungen wie Depressionen, Ängsten oder einem mangelnden Selbstwertgefühl führen. In den Diagnosesystemen DSM-5 und ICD-11 wird diesem Faktum erstmalig Rechnung getragen, indem die Entwicklungsstörungen allen anderen psychischen Störungen vorangestellt wurden. Dieses interdisziplinäre Herausgeberwerk schließt eine Lücke, indem es die Thematik erstmals aus der Perspektive der Kinder-, Jugend- und Erwachsenenpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik beleuchtet. Das umfassende Werk stellt die verschiedenen Formen in ihrer Entwicklungsgeschichte vor und gibt einen Überblick über wirksame psychotherapeutische, pharmakologische und sozialpsychiatrische Interventionsmöglichkeiten.
Prof. Dr. med. Ludger Tebartz van Elst, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Uniklinik Freiburg i. Br. PD Dr. med. Monica Biscaldi-Schäfer, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter, Uniklinik Freiburg i. Br.. Univ.-Prof. Dr. med. Claas Lahmann, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Uniklinik Freiburg i. Br. PD Dr. med. Dr. phil. Andreas Riedel, Ambulante Dienste der Luzerner Psychiatrie. Prof. Dr. med. Almut Zeeck, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Uniklinik Freiburg i. Br. MIt Beiträgen von: Monica Biscaldi-Schäfer, Claas Lahmann, Andreas Riedel, Ludger Tebartz van Elst, Almut Zeeck, Bettina Brehm, Ismene Ditrich, Katharina Domschke, Dieter Ebert, Thomas Fangmeier, Christian Fleischhaker, Barbara Haack-Dees, Christoph Klein, Rudolf Korinthenberg, Thorsten Langer, David E.J. Linden, Peter Martin, Swantje Matthies, Kirsten Müller-Vahl, Kathrin Nickel, Reinhold Rauh, Tanja Sappok, Ulrich Max Schaller, Carl Eduard Scheidt und Tina Schweizer.

Einleitung


Das Themenfeld der neuronalen und mentalen Entwicklungsstörungen (ES) ist neu im Kanon der großen Klassifikationssysteme psychischer Störungen. Es wurde im Jahr 2013 zunächst im DSM-5 eingeführt und in der 11. Version der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-11), die in diesem Jahr (2022) in Kraft trat, übernommen. Im DSM-5 wurden dabei die großen Störungsbilder der Störungen der Intelligenzentwicklung (SIE), der Autismus-Spektrum-Störungen (ASS), der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und der Tic-Störungen (TS) gemeinsam mit der ehemaligen Gruppe der Umschriebenen Entwicklungsstörungen aus der ICD-10 wie den Sprachentwicklungsstörungen, den spezifischen Lernstörungen sowie den motorischen Störungen zusammengefasst. Im ICD-11 wurde dies weitgehend übernommen, wobei die Tic-Störungen und deren komplexe Variante, das Gilles-de-la-Tourette-Syndrom, zwar aufgeführt, nosologisch allerdings als neurologisches Krankheitsbild kodiert werden. Bereits dieses kleine Detail verdeutlicht, dass vieles in diesem neuen Bereich im Sinne einer nosologischen Grundkategorie noch unklar ist – nämlich z. B. die Frage, ob die Tic-Störungen als neurologisches Krankheitsbild oder als psychische Störung verstanden werden sollten. Gleichzeitig macht die Tatsache, dass die Entwicklungsstörungen allen anderen Krankheitsgruppen vorangestellt werden, klar, dass sich hier für die psychiatrischen, psychotherapeutischen und psychosomatischen Fächer ein ganz neues Themenfeld auftut. Die Entwicklungsstörungen wurden lange Zeit als Thema der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, vielleicht noch der Neuropädiatrie, betrachtet. Dass sie auch für die Erwachsenenpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik von zentraler Bedeutung sein könnten, wurde lange nicht gesehen.

Diese Grundannahme wurde in den letzten Dekaden in verschiedenen Wellen erschüttert. Zunächst erlebte das Thema der ADHS und etwa eine Dekade später das der ASS einen enormen Aufschwung in der Erwachsenenpsychiatrie. Die Tic-Störungen scheinen aktuell auf Ebene der großen Kongresse zumindest in der Psychiatrie »anzukommen« und das Themenfeld der Störungen der Intelligenzentwicklung wird wahrscheinlich mit einer weiteren Latenz von einer Dekade folgen. Herrschte ursprünglich für alle großen Themen der Entwicklungsstörungen implizit die Annahme vor, dass sie insbesondere im psychotherapeutischen und psychosomatischen Kontext nicht besonders relevant seien, so wird auch diese Überzeugung in