Menschen sind Sterbliche; ihr Leben ist endlich und geht früher oder später unweigerlich auf den Tod zu: »Wer geboren wird, muss auch sterben.«1 Das haben Menschen grundsätzlich mit anderen Lebewesen, etwa mit Tieren, gemeinsam. Ein wesentlicher Unterschied zu den Tieren besteht allerdings darin, dass Menschen um die Endlichkeit ihres Lebens wissen, auch wenn sie dieses Wissen im Lebensalltag häufig verdrängen.2 Solches Verdrängen ist in sich selbst ein Hinweis darauf, dass Menschen um ihre Sterblichkeit eigentlich wissen, sich damit aber schwertun und diese Wirklichkeit darum möglichst lange aus ihrer Existenz auszuklammern versuchen. Das gelingt umso leichter in einer Zeit, in der Sterben und Tod dank zivilisatorischen und insbesondere medizinischen Errungenschaften für die Mehrheit der in westlichen Gesellschaften Lebenden an den Rand eines langen Lebens hinausgeschoben wurde.
Das ändert freilich nichts daran, dass unser Leben endlich ist und auf den Tod zuläuft. Der Philosoph Martin Heidegger hält darum etwas ganz Elementares fest, wenn er menschliche Existenz als ein »Sein zum Tode« oder ein »Vorlaufen zum Tode« versteht – und dies keineswegs erst im Blick auf die Sterbephase am Ende des Lebens, sondern grundsätzlich im Blick auf das ganze Leben.3
Sterben als fremdverfügtes Schicksal
Dabei ist zwischen Sterben und Tod zu unterscheiden, auch wenn diese Begriffe oft gleichgesetzt oder gar miteinander verwechselt werden. Von der Logik der Sprache her ist der Tod ein Zustand des Totseins, also des Fehlens von Leben in seiner psycho-physischen Dimension. Sterben hingegen ist eine Phase des Lebens, und zwar diejenige Phase am Ende des Lebens, in der sich der bevorstehende Tod abzeichnet und in der er schließlich eintritt.4
Die Wirklichkeit des Todes ist jenseits aller irdischmenschlichen Erfahrung und entzieht sich der aktiven Gestaltung durch die Betroffenen. Sie ist deshalb auch unabhängig vom geschichtlich-kulturellen Wandel. Im Tod sind alle zu allen Zeiten gleich. Anders verhält es sich mit dem Prozess des Sterbens. Wie sich dieser vollzieht, hängt von vielerlei individuellen und geschichtlichen Faktoren ab: von bestehenden Erkrankungen, von den Möglichkeiten und Angeboten medizinischer Intervention, von der mitmenschlichen Begleitung und Pflege, von den örtlichen Gegebenheiten und von der Art, wie Menschen Leben und Sterben interpretieren und sich diesen gegenüber verhalten. Insofern ist das Sterben von Menschen vielfältig, und die diesbezüglichen Erfahrungen verändern sich im Verlauf der geschichtlich-kulturellen Entwicklung. Man kann durchaus sagen, dass unterschiedliche Zeiten und Kulturen jeweils ihren eigenen typischen Stil des Sterbens entwickeln.5
Wie unterschiedlich die menschliche Sterblichkeit in verschiedenen Kulturen und Zeiten auch interpretiert worden ist, in einem zentralen Punkt deckte sich die Erfahrung von Menschen bis in die jüngste Vergangenheit: Sterben zu müssen und dem bevorstehenden Tod ausgesetzt zu sein war Inbegriff eines fremdverfügten Schicksals, gegen das die Betroffenen nichts ausrichten konnten. Es zwang sie in eine passive Rolle, in der sie sich nur ergeben in das fügen konnten, was ihnen widerfuhr. Der Tod wurde erfahren als eine »Schicksalsmacht, der wir zwar mit allen Fasern unserer Existenz zu entfliehen suchen, der wir aber letztlich doch nicht entkommen können«.6
Diese Erfahrung rückt etwas für das menschliche Selbstverständnis seit Urzeiten Zentrales ins Bewusstsein: dass das Leben begrenzt ist, und zwar durch Grenzen, die der Mensch in der Regel nicht selbst zieht, sondern auf die er stößt als eine nicht selbst gesuchte Widerfahrnis. Der Tod kommt, stößt dem Menschen zu, er holt ihn, wie das in der Kunstgeschichte immer wieder mit der Gestalt des Sensenmanns zum Ausdruck gebracht wurde.7 In solchen Grenzen begegnet dem Menschen eine Macht, über die er nicht verfügt, die ihn übersteigt, die aber seinem Leben einen Horizont und möglichen Sinn gibt. Vor diesem Horizont weiß sich der Mensch auf etwas Größeres bezogen, dem er nur in der Haltung des Zulassens und Geschehenlassens gerecht werden kann.
Der Tod und das ihn herbeiführende Sterben entzogen sich menschlicher Verfügungs- und Entscheidungsgewalt, außer bei Opfern von menschlicher Gewalt. Es war das Schicksal, das zuschlug, oder der Herr über Leben und Tod, der bestimmte. Und es war der Part des Menschen, sich ins Unvermeidliche zu fügen und die eigene Ohnmacht angesichts des bevorstehenden Todes auszuhalten.
Medikalisierung des Sterbens
Mit dem Aufkommen der naturwissenschaftlich orientierten Medizin vollzog sich ein folgenschwerer Bruch: Sterben und Tod wurden nun als etwas verstanden, das von natürlich-biologischen Parametern abhängt und in das grundsätzlich medizinisch eingegriffen werden kann. Damit war der Weg in die Medikalisierung des Sterbens beschritten.8 Sterben wurde pathologisiert und zu einem Thema der Medizin; es wurde zu einem Problem, gegen das mit medizinischen Mitteln – auch wenn diese anfänglich noch sehr beschränkt waren – angekämpft werden konnte.
Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften gibt kritisch zu bedenken: »Die technisch unbegrenzt scheinenden Möglichkeiten haben einen Teil der in der Medizin Tätigen dazu verführt, gewagte Zukunftsszenarien zu entwerfen. Diese bewerten Krankheit und Tod nicht mehr als unbesiegbar, sondern stellen sie nur noch als ein technisch ungelöstes Problem dar. [...] Über Limitierungen im Sinne des vernünftigerweise Machbaren wird auf allen Seiten nur zögernd nachgedacht.«9