Prolog
Warum erzähle ich hier meine Geschichte? Warum tue ich mir das an, mich noch einmal an all diese furchtbaren Jahre zu erinnern und beim Schreiben dieses Buches noch einmal alles zu durchleben? Ist es richtig, die Dämonen der Vergangenheit noch einmal zu beschwören?
Vor sechs Jahren habe ich dieSPIEGEL-Redakteurin Barbara Schmid in Bayreuth kennengelernt. Wir haben lange Gespräche geführt, unzählige E-Mails hin und her geschrieben und Berge von Akten ausgetauscht, bis wir uns schließlich mehrfach wochenlang zum Schreiben zusammengesetzt haben.
Nach dem schrecklichen Finale, bei dem ich fast umgekommen bin, kam der anstrengende Prozess, an dessen Ende der Täter am 30. Dezember 2011 zu neun Jahren Haft verurteilt wurde. Nach dem Urteil musste ich erst mal lernen, wieder zu leben. Ich war zuvor jahrelang eingesperrt, wusste oft nicht einmal, welche Jahreszeit wir hatten, kannte die Welt draußen nur von meinen wenigen Arzt- und Behördenbesuchen. Dazu war ich alkoholabhängig und gesundheitlich schwer angeschlagen. Nach meiner Flucht brauchte ich jahrelang psychiatrische Hilfe, um die elf schrecklichen Jahre zu verarbeiten. Und ganz fertig bin ich damit immer noch nicht.
Mein Ziel war immer, wieder zur Schule zu gehen, die ich nach der 10. Klasse abgebrochen hatte. Es war nicht einfach, mit fast 30 Jahren eine Schule für mich zu finden. Doch ich habe meinen Schulabschluss gemacht und im Sommer 2018 meine Ausbildung zur Steuerfachangestellten bestanden. Mit 35 Jahren habe ich nun angefangen zu arbeiten, bei einem Steuerberater. Ich bin ein Zahlenmensch und arbeite gerne mit Akten – solange ich nur nicht mehr direkt mit Menschen zu tun haben muss.
Ich weiß, dass ich erst meinen Frieden finden werde, wenn ich das alles aufgeschrieben habe. Mit diesem Buch ist das grausame Kapitel in meinem Leben für mich abgeschlossen. Das Buch ist aber auch eine Botschaft an Frauen und Mädchen, die in meiner Lage sind oder Gefahr laufen, dort hinzukommen: Kein Mann, der euch liebt, schickt euch auf den Strich! Niemand, der euch liebt, kommt auf so eine abartige Idee. Ich habe mit vielen Frauen gearbeitet, die das nich