Kapitel2
Valentina besaß keine Zofe, deshalb war es Aufgabe der Küchenmagd, ihr abends beim Auskleiden zu helfen, die Kerzen zu löschen, die Fenster fest zu verschließen und die Nachttöpfe unter die Betten zu stellen. Für gewöhnlich gelang es Valentina, das Mädchen zu ignorieren. Sie war leidlich fleißig und in ihren Woll- und Leinenkleidern angemessen farblos – nicht der Typ, der Aufmerksamkeit erregte. Das war einer der Gründe, warum Valentina sie eingestellt hatte, auch wenn ihr, um der Wahrheit die Ehre zu geben, kaum eine andere Wahl geblieben war. Der Lohn, den sie zahlen konnte, war niedrig, und da es im Haus nur zwei Angestellte gab, war die Arbeit hart.
Als das Mädchen an diesem Abend die Ösen an Valentinas Kleid aufhakte und den Staub davon abbürstete, fragte sie jedoch: »Wie ist dein Name?« Sie musste ihn irgendwann mal gekannt haben, hatte ihn aber zu selten benutzt, um ihn sich zu merken.
»Luzia, Señora«, sagte das Mädchen, ohne von ihrer Arbeit aufzuschauen.
»Und hast du einen Verehrer?«
Luzia schüttelte den Kopf. »Nein, Señora.«
»Wie schade.«
Valentina rechnete mit einem gemurmeltenJa, Señora. Stattdessen verstaute Luzia das zusammengelegte Kleid in der Truhe und sagte: »Es gibt Schlimmeres für eine Frau, als allein zu sein.«
Im Haus meiner Mutter war ich glücklicher. Der Gedanke kam ungebeten, die plötzliche Trauer war überwältigend. Aber natürlich gab es keine größere Schande als eine unverheiratete Tochter, nichts Nutzloseres als eine Frau ohne Ehemann und Kinder. War dieses Mädchen glücklich? Valentina wollte die Frage schon laut stellen, biss sich jedoch auf die Lippe. Was spielte es für eine Rolle, ob eine Dienstmagd glücklich war, solange sie ihre Arbeit verrichtete?
»Du und die Köchin, ihr wolltet euch heute über mich lustig machen, nicht wahr?«
»Nein, Señora.«
»Ich weiß, was ich gesehen habe, Luzia.«
Jetzt schaute das Mädchen hoch, und Valentina bemerkte zu ihrer Überraschung, dass ihre Augen dunkelbraun, beinahe schwarz waren.
»Was haben Sie gesehen, Señora?«, fragte das Mädchen, ihr Blick war so klar wie das Wasser des Manzanares. Valentina wurde sich mit einem Mal bewusst, dass sie beide allein im Zimmer waren. Die Stille im Haus drängte sich ihr auf – und ihre eigene Schwäche. Fast kam es ihr so vor, als hätte sie einen Schrank geöffnet und einen Wolf darin vorgefunden.
»Nichts«, brachte Valentina hervor, beschämt über das Zittern in ihrer Stimme. »Ich habe nichts gesehen.« Sie stand auf und durchquerte das Zimmer, um etwas Distanz zwischen sich und das Küchenmädchen zu bringen. »Dein Blick ist reichlich anmaßend.«
»Verzeihung, Señora.« Luzia richtete die Augen wieder auf den Boden.
»Geh«, sagte Valentina mit einer, wie sie hoffte, unbekümmerten Geste.
Aber nachdem Luzia gegangen war, verriegelte sie die Tür hinter ihr.
In dieser Nacht schlief Luzia nicht, und am nächsten Tag ging sie keine Risiken ein. Sie wartete, bis das Wasser kochte, ohne das Aufheizen mit einem gesungenen Wort zu beschleunigen. Sie holte Holz für den Küchenherd, ohne eine Silbe zu sprechen, um es anzuzünden. Sie konnte erst wieder richtig durchatmen, als sie die Straße zu San Ginés entlangeilte. Seit dem Vorkommnis mit dem Brot hatte Doña Valentina sie genau beobachtet. Nach Magie suchte sie dabei nicht; vielmehr glaubte sie, Luzia und die Köchin wollten ihr einen albernen Streich spielen.
Auf die Straße hinaus konnte Valentina ihr jedoch nicht folgen. Eine Frau ihres Standes durfte das Haus nur in Begleitung ihres Ehemanns, ihres Vaters oder eines Geistlichen verlassen. Luzia hatte Geschichten von reichen Damen gehört, die aus dem Fenster gestürzt waren und sich mehrere Knochen gebrochen hatten. Eine war sogar gestorben, weil sie sich zu weit hinausgelehnt hatte, um Neuigkeiten zu erfahren. Wenn Luzia müde war oder ihr der Rücken wehtat, spielte sie manchmal ein Spiel mit sich selbst: Würde sie lieber den ganzen Tag auf einem Kissen sitzen und sticken, dafür aber das Leben nur durch ein Fenster sehen? Oder ein weiteres Mal zum Brunnen gehen? Wenn die Eimer leer waren, fiel ihr die Antwort leicht. Waren sie voll, sah die Sache anders aus.
Als sie vom Haus wegging, spürte sie Doña Valentinas Blick vom Fenster im Obergeschoss auf sich ruhen, doch Luzia schaute nicht hoch und lief so schnell sie konnte zu San Ginés. Die Windungen der staubigen Straßen waren ihr wohlvertraut, die anderthalb Kilometer schwanden unter ihren Füßen dahin.
Luzias Tante hatte ihr eingeschärft, dass sie sich jeden Tag in der Kirche blicken lassen sollte. Als sie jedoch das dunkle Hauptschiff betrat, musste sie an ihre Mutter denken, die irgendwo unter ihren Füßen begraben lag. In San Ginés wurde ständig jemand begraben; die Steine wurden angehoben, wieder eingesetzt und dann erneut entfernt und die Leichen neu verteilt, um mehr Platz zu schaffen.
Blanca Cotado war in einem Armenhospital gestorben. Ihr Leichnam war mit den anderen Toten bei einem Begräbniszug zur Schau gestellt worden, damit die Geistlichen Almosen für die Totenmessen sammeln konnten. Luzia war damals zeh