: Stephan Holzinger
: Netzwerkmedizin - Fakten. Diskurs. Perspektiven für die praktische Umsetzung
: medhochzwei Verlag
: 9783862162475
: 1
: CHF 55.90
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: Allgemeines
: German
: 300
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das Gesundheitssystem ist in seiner bisherigen Form nicht zukunftsfähig: Durch die Alterung der Gesellschaft nehmen immer mehr Menschen Leistungen in Anspruch, während immer weniger Menschen diese Leistungen bezahlen und ausführen. Eugen Münch hat mit seinem Konzept der Netzwerkmedizin einen unternehmerischen Entwurf in die Diskussion eingebracht, mit dem die drohende Rationierung im Gesundheitswesen verhindert werden soll. Die Kernelemente sind bundesweite Netzwerke von Leistungsanbietern aller Versorgungsstufen, die Einführung der elektronischen Patientenakte und ein neuartiges Versicherungsangebot. Das Angebot richtet sich konsequent auf die Bedürfnisse der Patienten aus und zielt vor allem auf gesetzlich Versicherte. Der Band 'Netzwerkmedizin - Fakten. Diskurs. Perspektiven für die praktische Umsetzung' konkretisiert das Konzept der Netzwerkmedizin und ist daher als Fortsetzung zum ersten Band 'Netzwerkmedizin - Ein unternehmerisches Konzept für die altersdominierte Gesundheitsversorgung' zu verstehen. Es enthält detaillierte Beschreibungen und Hintergrundinformationen zu den tragenden Säulen der Netzwerkmedizin. Zu vielen bedeutsamen Aspekten beziehen Experten kritisch und konstruktiv Stellung. Das Buch dient als Diskussionsgrundlage für alle, die sich mit dem Gesundheitswesen und seiner Zukunft auseinandersetzen und nach gangbaren Alternativen suchen.

Stephan Holzinger ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Münch, Mitglied im Aufsichtsrat der Rhön Klinikum AG und Mitglied des Verwaltungsrates der HCM SE. Dr. Boris Augurzky ist Wissenschaftlicher Geschäftsführer der Stiftung Münch, Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit am RWI in Essen, Geschäftsführer der Institute for Health Care Business GmbH (hcb).

Teil I Die Vision


1 Netzwerkmedizin als Antwort auf die anstehenden Herausforderungen


1.1 Warum es die Politik nicht schafft


„Krankenhaus-Reform? So nicht!“ So lautet der Slogan einer Kampagne, mit der die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) im Sommer 2015 ihrer „breiten Kritik und großen Empörung“ gegen die geplante Krankenhausreform 2015 der Bundesregierung Ausdruck verliehen hat. Mal ist auf der mehrteiligen Plakatserie ein Neugeborenes abgebildet, darüber die Aussage „Wir kümmern uns. Sorgfältig und verantwortungsvoll.“ Mal ist das Motiv ein alter Mann im Krankenhausbett im Gespräch mit einer Krankenschwester, darüber steht „Wir geben Menschen Wärme. Mit mehr als 400.000 Pflegekräften.“ Ein drittes Plakat zeigt einen Arzt vor zwei Computerbildschirmen, darüber ist zu lesen „Wir geben Menschen Hoffnung. Mithilfe moderner Technik.“ Drei emotionale Botschaften, denen auf jedem Plakat in riesigen Buchstaben die Aussage gegenübergestellt wird: „Aber die Politik lässt uns im Stich.“ Weil sie nicht die nötigen Mittel für Investitionen bereitstelle. Weil sie am Patienten spare. Weil das Personal in den Kliniken noch mehr belastet werde.1 Die Krankenhausreform sei „absurd“ heißt es in begleitenden Zeitungsanzeigen.2

Die auf den Plakaten gezeigten Menschen sind nicht nur Patienten, Ärzte und Pfleger, sondern auch Wähler, die anderen Wählern und vor allem der Politik hier das Signal senden: „So nicht!“ Das Ziel von politischen Parteien wiederum ist die Maximierung ihrer Wählerstimmen. Politische Maßnahmen wie das Krankenhausstrukturgesetz oder das Rentenpaket aus 2014 werden daher unter dem Aspekt der so genannten „politischen Rendite“ bewertet. Die regierenden politischen Parteien haben die Möglichkeit, gesellschaftliche Ressourcen zum Zweck der Optimierung ihrer politischen Rendite einzusetzen. Ihr Ziel ist der Machterhalt oder Machtausbau. In Bezug auf gesundheitspolitische Maßnahmen muss die Politik dabei darauf achten, dass manche Leistungserbringer im Gesundheitswesen durch ihre Tätigkeit direkt am Patienten einen guten Zugang zu einem Großteil der Wählerschaft haben. So können bei einer Milliarde Arztkontakten jährlich niedergelassene Ärzte die Bevölkerung sehr gut erreichen. Gleiches gilt für Krankenhäuser, in denen jedes Jahr 19 Millionen stationäre und etliche ambulante Fälle gezählt werden, sowie für Apotheken.

Die politische Rendite ist nicht unbedingt deckungsgleich mit der volkswirtschaftlichen Rendite. Die politische Rendite definiert sich über die Zahl der Wählerstimmen, die für die eigene Partei gewonnen werden kann. Es ist dabei zunächst unerheblich, ob die dazu verbrauchten Ressourcen wieder erwirtschaftet werden können oder nicht. Die volkswirtschaftliche Rendite definiert sich über die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt, die durch eine Maßnahme erreicht werden kann. Sie bezieht unter anderem auch die Kosten einer Maßnahme mit ein. Oft verteilen sich die Kosten auf sehr viele Menschen, während der Nutzen einer kleineren Gruppe zu Gute kommt. Gerne werden die Kosten statt auf die heute lebenden Menschen auch auf zukünftige Generationen geschoben, indem man den noch Ungeborenen eine entsprechende Schuldenlast oder künftige Verpflichtungen aus den Sozialversicherungen überträgt. Insbesondere beinhaltet die volkswirtschaftliche Rendite mindestens den Erhalt, idealerweise sogar die Ausweitung der eingesetzten gesellschaftlichen Ressourcen.

Zur Illustration dienen folgende Beispiele. Mit dem Rentenpaket 2014 hat die Große Koalition die Möglichkeit der Frühverrentung für in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherte geschaffen. Wer 45 Jahre Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt hat, kann mit 63 Jahren ohne Abzüge in Rente gehen. Damit werden die Anspruchsberechtigten gegenüber anderen Beitragszahlern besser gestellt, die nur unter Abzügen früher in Rente gehen können. Die angesammelten Rentenanwartschaften der Anspruchsberechtigten werden also höher