: Jana Revedin
: Margherita Roman
: Aufbau Verlag
: 9783841225801
: 1
: CHF 8.80
:
: Romanhafte Biographien
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Für Peggy Guggenheim war sie die First Lady Venedigs.

1920: Die fünfundzwanzigjährige Margherita, die in ihrem Heimatstädtchen Treviso die Zeitungen austrägt, wird durch die Heirat mit dem adeligen Antonio Revedin zur First Lady Venedigs. Heute ist ihr Name vergessen: Doch Margherita verstand es, sich durch ihre unvoreingenommene Art zum Mittelpunkt einer sich neu erfindenden Stadt zu machen. Peggy Guggenheim wird ihre beste Freundin, und die Künstlerfeste auf der Terrasse des Hotel Excelsior, zu denen sie Greta Garbo, Coco Chanel, Clark Gable oder Pablo Picasso einlud, werden legendär.

Jana Revedin erzählt mitreißend von den Schicksalsjahren Venedigs - und ihrer eigenen Familie.



Jana Revedin, geboren 1965 in Konstanz, ist Architektin und Schriftstellerin. Nach dem Studium von Architektur und Städtebau in Buenos Aires, Princeton und Mailand promovierte und habilitierte sie an der Universität Venedig und ist heute ordentliche Professorin für Architektur und Städtebau an der École Spéciale d´Architecture Paris. 2018 erschien ihr Bestseller über Ise Frank, 'Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus', 2020 ihr Roman 'Margherita' über die Renaissance Venedigs in den 1920er Jahren, der ebenfalls zum Bestseller wurde. Zuletzt erschien von ihr der Roman 'Flucht nach Patagonien' über Jean-Michel Frank und Eugenie Errazuriz (2021). Sie lebt in Venedig und Wernberg in Kärnten.  

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Jetzt betrat eine Menschenseele den Platz. Der erste Kunde des neuen Jahres 1920 bog aus der schattigen Via Ricatti in die gleißende Morgensonne und blieb kurz stehen. Wahrscheinlich war er geblendet. Er trug einen langen Kaschmirmantel mit Pelzkragen, Schal und Melone und stand einen Augenblick bewegungslos, das Gesicht zum Himmel gerichtet.

Ja, natürlich, das war die schmale, hochgewachsene Gestalt des jungen Grafen Revedin, Margheritas liebsten Klienten am Borgo Cavour. Er verwickelte sie fast täglich in lange Diskussionen um das Tagesgeschehen, und sie fragte sich seit Jahren, warum ein so hochwohlgeborener Herr sich mit jemandem wie ihr abgab, einem Kind aus dem Volk.

Wohl war er nach dem Tod all seiner Familienangehörigen in den vergangenen Kriegsjahren sehr allein?

Doch was machte ein Herr wie er, der in seinem Palais außer einer Tante, die ihn ab und an aus Turin besuchen kam, zwar keine Familie, jedoch eine Schar von Hausbediensteten hatte, schon so frühmorgens auf der Straße?

Und das an einem Feiertag?

Er stand auf der Piazza wie vom Himmel gefallen, und Margherita wurde es warm ums Herz. Mit keinem Menschen in der ganzen Stadt konnte man so gepflegt über die Rubriken in den Zeitungen diskutieren, die sie von jeher am meisten interessierten: Das waren die Weltpolitik und die Kulturnachrichten.

Und von keinem konnte man so viel zu den liberalen Strömungen erfahren, denen sich die herrschenden Schichten außerhalb Italiens schon in der zweiten Generation öffneten. Die Revedins, und dafür bewunderte Margherita diese Familie seit je, wurden im Städtchen Treviso zwar wortlos respektiert, aber vielerorts auch gefürchtet oder gar gehasst. Der Vater des jungen Grafen, der Conte Ruggero, hatte nämlich schon als junger Großgrundbesitzer eine aufgeklärte Gleichberechtigung seiner Arbeiter verteidigt. Solch demokratische Ideen hatten in Deutschland oder Finnland seit dem Krieg zu neuen Staatsformen geführt. In Italien, das ja fest in seiner tausendjährigen kirchlichen Regentschaft verankert war, waren sie aber bis heute, trotz der neuerlich aufkommenden »roten« Bewegungen, unvorstellbar.

Als einzige Großgrundbesitzer der ganzen Region hatten die Revedins schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts eine Agrarreform umgesetzt und Gesindehäuser gebaut, in denen die Landarbeiter, ihre Kinder und Alten besser untergebracht waren als irgendwo anders. Sie besaßen eine neue bauliche Form, die Luft an alle Fassaden ließ und die die ganze Landschaft rund um Treviso, von Castelfranco bis Cessalto prägte.

In den Jahren vor dem Krieg hatte Margherita zunehmend böse Leserbriefe zu den »gesunden Lebensbedingungen«, die der Conte Ruggero ermöglicht hatte, im Gazzetino Veneto entdeckt. Sie hatte sie dem jungen Grafen regelmäßig gezeigt, und der hatte laut lachen müssen, wenn seine Landarbeiterhäuser »Nester des Kommunismus« genannt wurden oder »Sü