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Wer ist eigentlich wer?
GERIT
Als wir Kinder waren, sahen wir völlig unterschiedlich aus. Anja hatte lange, wunderschöne, dunkelblonde Haare, und ich war eher noch dunkler als heute.
ANJA
Und du hattest immer so eine Powermähne. Dickes, aber eher kurzes Haar.
GERIT
Das waren die Achtziger. Und ich hatte in der Jugend ein ganz rundes Gesicht. Alles an mir war rund. Augen rund, Gesicht rund, alles rund.
ANJA
Das hast du dir immer eingebildet. Ein bisschen Babyspeck vielleicht. Aber den hatte ich auch.
GERIT
Nein, Anja, ich war ein ganz anderer Typ als du. Damals sahen wir uns überhaupt nicht ähnlich. Es gibt Beweisfotos, erst neulich fielen mir wieder welche in die Hände. Da dachte ich: Ist ja irre, wie verschieden wir waren.
Anja und Gerit Kling mit ihrer Mutter Margarita
GERIT
Solange ich mich zurückerinnern kann, waren wir unglaublich eng verbunden und versuchten, so viel Zeit wie möglich miteinander zu verbringen. Kein Blatt passte zwischen uns. Ich kam am 21. April 1965 im thüringischen Altenburg in der tiefsten DDR zur Welt. Zur selben Zeit kämpfte der Regimekritiker Biermann mit der Tragik seines Auftrittsverbots, die Scorpions gründeten ihre Band, und die Antibabypille kam in der DDR auf den Markt. Anja wurde fünf Jahre nach mir, am 22. März 1970, geboren. In der Rolle der großen Schwester fühlte ich mich von Anfang an pudelwohl. Den Hauptteil unserer Kindheit und Jugend verbrachten wir in Wilhelmshorst, einer kleinen Gemeinde sieben Kilometer südlich von Potsdam gelegen, mit heute etwas mehr als 3000 Einwohnern. Der Westen – das immer leuchtende und glamouröse Westberlin – befand sich in greifbarer Nähe, war für uns aber unerreichbar. Nach Wilhelmshorst zogen wir, als ich zehn und Anja gerade fünf Jahre alt war. Das Haus, das meine Eltern gegen unsere Drei-Zimmer-Neubauwohnung in Potsdam tauschen konnten, war ein kleines Holzhaus. Viereinhalb Zimmer, Küche und Minibad mit kohlebetriebener Zentralheizung. Anja und ich bekamen ein gemeinsames Zimmer und waren glücklich, dass ab sofort niemand mehr unter uns wohnte, der mit dem Besen gegen die Decke donnerte, wenn wir mal wieder angeblich zu laut über den Flur rannten. Zu dem Haus gehörte auch ein riesiger Garten, und ringsherum war viel Wald. »Garten« ist eigentlich untertrieben, es war eine Art Park, mit großen Tannen und Kastanienbäumen, Wiesen und Blumenbeeten. Es gab dort seltene Vögel, wie zum Beispiel den Pirol, der durch sein gelbes Gefieder auffällt und den man nicht oft zu Gesicht bekommt. Gleich in unserem ersten Jahr in Wilhelmshorst fanden wir ein kleines, junges Pirolvögelchen, das aus dem Nest gefallen war. Anja und ich zogen es groß, jagten einen Sommer lang mit Fliegenklatschen jedem Käfer hinterher, um unser Pflegekind zu ernähren, und schafften es tatsächlich, es in nächtelangen Aktionen seinen Vogeleltern wieder zuzuführen. Schnappi nannten wir unseren Pirol.
Anja und ich, wir waren wie ein Kiek und ein Ei – in der Kindheit, während der ganzen Schulzeit und auch später, als wir studierten und eigene Wege gingen. Was keine Selbstverständlichkeit ist, denn immerhin trennten uns fünf Jahre – ein Altersunterschied, der bei anderen Geschwistern ganze Welten bedeutet, gerade wenn die eine in die Pubertät kommt, während die andere noch Kind ist. Bei uns war das irgendwie nicht der Fall. Für mich war es selbstverständlich, dass ich Anja überallhin mitschleppte. Als ich älter wurde, nahm ich sie mit zu Einladungen, auf Partys, ja sogar in die Disco. Wozu ich sie ein bisschen überreden musste, weil ihr das nicht ganz geheuer war. Ich aber war einfach nur glücklich, wenn wir zusammen waren. Anja wiederum stand mir bei, wenn ich Probleme mit dem Lernen oder in der Schule hatte. Unser Vater sagt immer, wir hätten uns als Schwestern perfekt ergänzt. Den Jungs, die mit mir ausgehen wollten, passte es gar nicht, dass ich stets Anja im Schlepptau hatte. Was ich ignorierte. Manchmal bekam ich »Beschwerdebriefe« von Verehrern, da stand in etwa:
»Wenn Du Deine kleine Schwester noch mal mitbringst, kannst Du selbst auch gleich zu Hause bleiben.« Woraufhin ich dachte: Nix da, jetzt erst recht. Also, wir waren i