: Martin Arnold, Urs Fitze
: Kinder auf der Flucht Humanitäre Hilfe und Integration in der Schweiz vom Ersten Weltkrieg bis heute
: Rotpunktverlag
: 9783858698902
: 1
: CHF 21.80
:
: Geschichte
: German
: 240
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das Drama der geflüchteten Kinder ist nie vorbei. Das zeigen die aktuellen Bilder aus Idlib oder Lesbos, das zeigt aber auch ein Blick in die Geschichte. Während sich heute Kinder aus vielen zerrütteten Ländern via Iran, Syrien und die Türkei, durch die Sahara oder auf anderen gefährlichen Pfaden auf den Weg nach Europa machen, kamen sie früher aus europäischen Ländern, beispielsweise auf der Flucht vor der Franco- oder der Hitlerdiktatur und später vor der stalinistischen Verfolgung. Kinder sind Opfer politischer Machtverhältnisse. Die Schweiz spielte stets eine besondere Rolle, wenn es um Menschen und insbesondere Kinder auf der Flucht ging - im Positiven wie auch im Negativen. Die beiden Journalisten Martin Arnold und Urs Fitze ziehen mit den Mitteln der historischen Recherche und der Reportage einen Querschnitt durch das 20. und 21. Jahrhundert und beleuchten dabei - anhand von Porträts und zahlreichen O-Tönen - insbesondere auch heutige Fragen von humanitärer Hilfe und Integration in der neuen Heimat. Der historische Vergleich verdeutlicht Parallelen in der öffentlichen Wahrnehmung, und er lotet die Bedeutung von Solidarität damals wie heute aus.

Martin Arnold, geboren 1961, und Urs Fitze, geboren 1962, arbeiten beide seit über dreißig Jahren als freie Journalisten zu gesellschafts- und umweltpolitischen Themen. Zusammen haben sie das Pressebüro Seegrund mit Sitz in St.?Gallen gegründet und Sachbücher veröffentlicht, u.?a. 'Die Strahlende Wahrheit. Vom Wesen der Atomkraft' (Zürich 2015) und 'Volle Tanks - leere Teller. Der Preis für Agrokraftstoffe' (Freiburg 2007).

Erstes Kapitel


Vom Ersten Weltkrieg bis in die Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs


Von der Liebestätigkeit zum vollen Boot


Der Erste Weltkrieg (1914–1918) schafft ein kollektives Leid, wie es die Welt bis dahin noch nie gesehen hat. In Europa bleibt die Schweiz vom Kriegsgeschehen verschont. Bundespräsident Giuseppe Motta spricht in einer Rede im Dezember 1914 von der Schweiz als »Heiligtum«, auf ihrem Boden werde der »Patriotismus menschlicher«; die »Kulturmission der Schweiz« scheine angesichts des Kriegs in Europa »größer« zu werden. Als »inter arma caritas«, Nächstenliebe zwischen den Waffen, beschreibt Pfarrer E. Nagel 1916 in seinem BuchDie Liebestätigkeit der Schweiz im Weltkrieg dieses Wirken. Ein Kapitel widmet er der Aufnahme von belgischen Geflüchteten und Waisenkindern. Die Waadtländerin Mary Widmer-Curtat (1860–1947) gründet im Herbst 1914 das Komitee »L’œuvre de secours aux réfugiés belges« und ruft dazu auf, Geld, Kleider, Decken und so weiter zu spenden. »Anmeldungen von solchen, die willens sind, belgische Kinder und Frauen bei sich aufzunehmen«, würden entgegengenommen. Das Echo ist überwältigend. Für 4000 Waisenkinder werden Plätze gemeldet. Doch die Wirklichkeit sieht etwas anders aus. Aus dem ersten Zug, der in Lausanne am 27. Oktober 1914 eintrifft, steigen Menschen aller Generationen aus: Mütter mit ihren Kindern und deren Großmüttern, Alte, Kranke, auch junge, dienstpflichtige Männer. Die Flüchtlinge werden trotzdem begeistert empfangen und, nach ein paar Tagen in einer provisorischen Unterkunft, auf die Familien verteilt. Bis ins Frühjahr 1915 werden 1350 belgische Geflüchtete aufgenommen, ab Sommer kommen auf Bitten der belgischen Königin bis zum Jahresende 444 Waisenkinder dazu. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs werden es über 9000 belgische Kinder, Geflohene und Internierte sein, die in der Schweiz Z