Der Erste Weltkrieg (1914–1918) schafft ein kollektives Leid, wie es die Welt bis dahin noch nie gesehen hat. In Europa bleibt die Schweiz vom Kriegsgeschehen verschont. Bundespräsident Giuseppe Motta spricht in einer Rede im Dezember 1914 von der Schweiz als »Heiligtum«, auf ihrem Boden werde der »Patriotismus menschlicher«; die »Kulturmission der Schweiz« scheine angesichts des Kriegs in Europa »größer« zu werden. Als »inter arma caritas«, Nächstenliebe zwischen den Waffen, beschreibt Pfarrer E. Nagel 1916 in seinem BuchDie Liebestätigkeit der Schweiz im Weltkrieg dieses Wirken. Ein Kapitel widmet er der Aufnahme von belgischen Geflüchteten und Waisenkindern. Die Waadtländerin Mary Widmer-Curtat (1860–1947) gründet im Herbst 1914 das Komitee »L’œuvre de secours aux réfugiés belges« und ruft dazu auf, Geld, Kleider, Decken und so weiter zu spenden. »Anmeldungen von solchen, die willens sind, belgische Kinder und Frauen bei sich aufzunehmen«, würden entgegengenommen. Das Echo ist überwältigend. Für 4000 Waisenkinder werden Plätze gemeldet. Doch die Wirklichkeit sieht etwas anders aus. Aus dem ersten Zug, der in Lausanne am 27. Oktober 1914 eintrifft, steigen Menschen aller Generationen aus: Mütter mit ihren Kindern und deren Großmüttern, Alte, Kranke, auch junge, dienstpflichtige Männer. Die Flüchtlinge werden trotzdem begeistert empfangen und, nach ein paar Tagen in einer provisorischen Unterkunft, auf die Familien verteilt. Bis ins Frühjahr 1915 werden 1350 belgische Geflüchtete aufgenommen, ab Sommer kommen auf Bitten der belgischen Königin bis zum Jahresende 444 Waisenkinder dazu. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs werden es über 9000 belgische Kinder, Geflohene und Internierte sein, die in der Schweiz Z