1. KAPITEL
„Wenn Sie sich jetzt nicht bald auf den Weg machen, werden Sie zu spät in die Kirche kommen“, sagte Gail mit sorgenvoller Stimme.
Freddie Medway blickte auf die Uhr und seufzte. Er sah gut aus in seinem eleganten Anzug. „Vor zehn Minuten habe ich Dad erinnert. Aber er wartet wohl bis zur letzten Sekunde. Den Grund können Sie sich ja denken.“
„Ihr Bruder Alex“, erwiderte Gail und verzog das Gesicht. „Wie kann er nur die Hochzeit seines eigenen Vaters ignorieren?“
„Offenbar kennen Sie Alex nicht, sonst würden Sie nicht fragen. Er ist stur und eiskalt. Gefühle interessieren ihn einfach nicht. Für ihn zählen allein Tatsachen. Für Alex ist es sonnenklar, dass Dads Verlobte nur aus Berechnung heiraten will.“
„Aber wie will er das wissen? Nur weil Liliane ein paar Jahre jünger ist als Sir James …“
„Dreißig Jahre, um ganz genau zu sein“, bemerkte Freddie trocken. „Somit ist sie jünger als Alex und nicht viel älter als ich.“
„Aber sie kümmert sich rührend um Ihren Vater.“
„Eben das habe ich auch zu Alex gesagt. Zugegeben, vielleicht würde sie Dad nicht heiraten, wenn er ein armer Schlucker wäre. Und Lady Medway zu sein, ist ja auch ganz verlockend. Aber wenn sie ihn liebt und ihn glücklich macht, sollte das doch wirklich die Hauptsache sein.“
„Ihr Bruder denkt da wohl anders.“
Freddie lächelte. „Alex ist von Grund auf misstrauisch. Er geht immer den direkten Weg, ohne Umschweife und ohne Kompromisse. Das spart Zeit, wie er sagt.“
„Das klingt ja äußerst charmant.“
„Von Charme hält Alex rein gar nichts“, warf Freddie ein. „Für ihn geht es nur ums Geschäft.“
Mit seinen fünfundzwanzig Jahren sah Freddie Medway nicht nur gut aus, er war dabei auch unbekümmert und äußerst charmant und redegewandt. Bisher hatten sich ihre Wege nur ein paar Mal gekreuzt, als sie die Hochzeit für seinen Vater, Sir James Medway, vorbereitet hatte.
Gails Metier waren Hochzeiten. In den letzten Jahren hatte sie „Nuptia Creations“ aufgebaut, einen Hochzeitsservice, der alles für den großen Tag organisierte – mit allem Drum und Dran. In der Regel wurde sie von der Familie der Braut engagiert. Da Liliane jedoch keine Familie mehr hatte, kam der Auftrag von ihrem vermögenden Bräutigam – eine Traumhochzeit mit einem großen Empfang auf dessen herrschaftlichen Landsitz.
Sir James war das, was man einen Selfmademan nannte. Vom kleinen Markthändler hatte er es bis zum Industriekapitän gebracht – und war vor kurzem sogar geadelt worden. Er hatte sich zur Ruhe gesetzt und die Leitung von Medway Industries nur allzu gerne seinen beiden Söhnen überlassen. Sir James genoss die Früchte seiner Arbeit und war stolz auf seinen Titel. Gail mochte ihn, denn der Erfolg war ihm nicht zu Kopf gestiegen. Im Gegenteil, er war freundlich und großzügig und glaubte an das Gute in der Welt. Vielleicht war er, was Liliane betraf, sogar ein wenig naiv. Doch er schien mit seiner zukünftigen Frau auf rührende Weise glücklich zu sein.
Sie standen im großen Empfangsraum von Gracely Manor. Das prächtige Anwesen aus dem 18. Jahrhundert lag in einem weitläufigen Park etwas außerhalb von Chichley. Von der malerischen Kleinstadt mit hübsch restaurierten Häusern, Alleen und Kopfsteinpflaster waren es nur zehn Meilen nach London. Ein Stück altes England, das im Sommer Tausende von Touristen anzog.
Es war zwar erst April, aber doch schon sommerlich warm. Eigentlich schade, dachte Gail, dass sie den Empfang nicht draußen auf dem Rasen ausgerichtet hatte. Stattdessen waren im Frühstücksr