Erhard Schütz
Gabriele Tergits Romane stammen von Texten ab, die den größeren Anteil ihres Werks ausmachen: Texte fürs Feuilleton. Diese prägten nicht nur das zeitgenössische Bild der Autorin, sondern vom Gegenstand und der Schreibweise her ihre Romane. Bei »Käsebier erobert den Kurfürstendamm« liegt es auf der Hand, handelt der Roman doch weitgehend im ureigensten Pressemilieu. Zudem hat sie zahlreiche ihrer journalistischen Texte mehr oder weniger direkt in ihn integriert. Selbst ihr großer, Jahrzehnte, Familien und Orte überspannender Roman »Effingers« lebt von wesentlichen Elementen ihres journalistischen Schreibens: Kürze der Kapitel, dialogische Präsenz und pointierte Situationsschilderungen. Mit diesen Bezügen sind die Reichhaltigkeit und Reichweite ihrer journalistischen Texte bei weitem nicht erschöpft. Allein das Spektrum der Formen: nebeneinander stehen Aufsätze und Gerichtsreportagen, Porträts oder eben klassische Feuilletons. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass sie über alles schrieb, was ihr begegnete, jederzeit bereit und in der Lage war, ihre Umwelt in Text zu verwandeln. Sie schrieb vom Urlaub, ob Ostsee oder Griechenland,1 sie schrieb über, von und aus Berlin, über Menschen, Orte, Eigenheiten, Geschehnisse, Institutionen, Figuren. Ihr Schreiben war eine ständige Interaktion mit der Stadt, mit dem, was sie für sich und für die Zeitgenossen charakterisierte. Ähnlich wie Joseph Roth qua »Frankfurter Zeitung« und »Münchner Neueste Nachrichten«, vielleicht mehr noch als dieser, prägte sie über das in der gesamten Republik wahrgenommene »Berliner Tageblatt« das Bild, das die Berliner und die Deutschen von der Hauptstadt und ihren Bewohnern hatten. Wie neben ihr etwa Walther Kiaulehn, Fred Hildenbrandt oder Hermann Sinsheimer. Anders als Ruth Landshoff-Yorck, Christa Winsloe oder auch Vicki Baum agierte sie dabei in einem unmittelbar von Männern geprägten Umfeld, ohne daraus grundsätzliche Differenzen abzuleiten. Sie schrieb sehr häufig, doch nicht nur, über Frauen und deren Situationen; reklamierte aber weder eine Sonderstellung noch einen genuin weiblichen Blick.
Tergit schrieb in einer Zeit, in der das Feuilleton expandierte, im »Berliner Tageblatt« zum Beispiel in den Lokalteil einwanderte, wie überhaupt vom Feuilleton ein starkes journalistisches Selbstbewusstsein ausging. Zugleich bewegte sich das Feuilleton in seinem Fokus weg von der ihm genuin bis dato zugeschriebenen und zugestandenen spielerischen Unterhaltsamkeit, originellen Plauderei und versöhnlichen Heiterkeit, die so oft an ihm moniert worden war, hin zur engagierten Aufmerksamkeit auf soziale Verhältnisse und Auswirkungen der Politik. Signifikant für solche Verschiebungen war, dass die Reportage Einzug in die Sparte Feuilleton hielt. Programmatisch führend war dabei die »Frankfurter Zeitung«. In der hatte Joseph Roth schon intern selbstbewusst für sich reklamiert: »Die moderne Zeitung braucht den Reporter nötiger, als den Leitartikler. (…)Ich zeichne das Gesicht der Zeit.«2 Neben Roth waren es in der »Frankfurter Zeitung« vor allem Heinrich Hauser und Erik Reger, die aus der industriell geprägten Arbeits- und Lebenswelt berichteten, Siegfried Kracauer über die neue Schicht der Angestellten, freilich selbst kritisch dem Format der Reportage gegenüber, aber deren Techniken für seine Essays nutzend.