Es nimmt kein Ende
Wiederkunft, die ich schaue, o Wahrheit, du Überschlaue, kein Bein bringt ihr zum Schwingen, solange Kriege die Profite bringen. Du kannst sagen, was du willst, auch du, Mutter, die du dein Baby stillst, zu weit gegangen ist der Wahn, das kräht doch morgens schon der Hahn.
Keiner verlässt sich auf den Sonnenschein, wenn er zurückgelassen ist, allein in einer Hütte sitzt, dass ihm die Kehle brennt und draußen alles durcheinanderrennt, wenn dunkle Wolken blutig regnen, Kirchen Übeltäter auch noch segnen, dann braucht die Sonne nicht zu scheinen, solang vor Schmerzen Kinder weinen.
Ich frag dich nach dem letzten Abendmahl, du winkst geflissentlich: ein andermal, da ist kein Stein mehr auf dem andern, wo Trauer ist, beginnt das Wandern; das war schon bei den Griechen so und nicht anders bei den Römern überm Po, wo nicht das Wort als Schwerter sprachen, der Sieg sich maß an Toten und an Lachen.
Viel geschrieben wird von Siegen, die gegen Untergänge kleinlich wiegen; ob Pyrrhus oder Alexander der Große, stets hingen Köpfe in der Soße. Man kann sich drehen, wie man will, auf dem Planeten wird's nicht still, solange die Granaten pfeifen, schlagen, kannst du die Vernunft nicht fragen.
Eckhard Hieronymus saß auf dem Koffer mit zusammengepressten Beinen und sah aus dem Fenster. Er dachte an die Zeit in Burgstadt mit dem guten Pfarrer Altmann und dem geschwätzigen Konsistorialrat Braunfelder, der mit den kuzen fleischigen Fingern ständig am Brustkreuz rumfummelte, und dann an die Zeit in Breslau, an das Verhör im Haus der SA in der Kesselstraße, den Nachttreff mit Herrn Rauschenbach und an den paulinisch mutigen Pfarrer Kannengießer. Er dachte an den verschollenen Sohn Paul Gerhard, als er hunderte von Männern in zerlumpter Kleidung auf gefrorenem Boden mit Hacken und Schaufeln stehen und arbeiten sah, die in der Kälte riesig lange Schützengräben aushoben. Die Männer wurden von Soldaten mit umgehängten Gewehren bewacht. In Gedanken stellte sich Eckhard Hieronymus das kilometerlange Massengrab irgendwo im Osten vor, in das der Körper seines Sohnes geworfen und mit den anderen Toten zugeschüttet worden war. Männer in Zivil gefolgt von SA-Männern gingen durch den Gang. Sie schauten mit dem deutschen Blick der Gründlichkeit in die überfüllten Abteile und machten ihre ‘Stichproben’, wenn sie sich die Ausweise zeigen ließen. Einige ‘Reisende’ hatten diesen Männern zu folgen, während andere im Gang vorher in der Wagentoilette oder in Richtung des vorderen oder hinteren Waggons verschwanden. Eckhard Hieronymus sah, dass die Männer der Staatssicherheit vor den Toiletten hielten, an die verriegelte Toilettentür klopften und den Toilettenbenutzer einer eingehenden Prüfung unterzogen.
Auf freier Strecke hielt der Zuge einige Male an, um Wehrmachtzüge mit angehängten Lazarettwagen und Güterzüge mit aufgeladenen Panzern und anderem Kriegsgerät vorbeizulassen, die alle Richtung Westen fuhren. Am Nachmittag setzte ein heftiger Schneesturm ein, dass die Lokomotive Volldampf gab, um die lange Wagenkette durch das Schneegestöber zu ziehen. Die dicht wehenden Schneeflocken vereisten am Fenster. Eckhard Hieronymus rieb sich die Müdigkeit von den Augen, um sicher zu sein, dass er in dem Gestöber Menschen in verschneiter Kleidung sah, die mit Hacken und Schaufeln lange Gräben der zurückgesetzten Verteidigungslinie aushoben und dabei von gewehrtragenden Soldaten in verschneiten Mützen und Mänteln beaufsichtigt wurden. Der Wahnsinn kannte keine Grenzen und nahm auf die Menschen keine Rücksicht, das dachte Eckhard Hieronymus beim Anblick der Trostlosigkeit. Die Kontrolleure kamen noch einige Male durch den Gang, schoben mal die eine, mal die andere Abteiltür auf und verlangten nach den Papieren. Da zeigte es sich nützlich, wenn das Parteiabzeichen sichtbar getragen wurde, was viele ‘Reisende’ taten. Diese Menschen als die Opportunisten der letzten Minute hatten vor den Männern in den Ledermänteln und den SA-Uniformen nichts zu befürchten als die gemeinsame Erkenntnis, dass es mit dem braunen, hakenverkreuzten Spuk bald zu Ende sein wird, je nachdem, wie schnell die russischen Divisionen auf die zerbombte Reichshauptstadt vorstoßen. Doch bis dahin sollten die Menschen das Fürchten nicht verlernen, denn ohne die letzte Quälerei sollte der Krieg nicht zu Ende gehn.
Die Nacht hatte den Abend mit der roten Dämmerung über der verschneiten Landschaft abgelöst. Der Schneesturm hatte sich gelegt, als der Zug die Neiße überquerte und in den Görlitzer Bahnhof einfuhr. Der Lautsprecher schrillte bei der Ansage im sächsischen Tonfall: “Görlitz. Sie haben Görlitz erreicht. Der Zug nach Dresden hat einen kurzen Aufenthalt. Durchreisende haben in den Wagen