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ES WAR FAST MITTERNACHT, als einem der neuen Laternenpfähle auf der Auburn Avenue die zweifelhafte Ehre zuteilwurde, als Erster von einem Auto gerammt zu werden. Die Scherben des zersplitterten Frontscheinwerfers eines weißen Buicks verteilten sich über dem Gehweg unter dem jetzt schiefen Pfahl.
Die Heuschrecken surrten unbeirrt in der stickigen Juliluft weiter. In der ganzen Stadt hatten die Leute die Fenster geöffnet, der Aufprall hatte sicher einige geweckt. Keine zehn Meter entfernt stand ein einsamer Fußgänger, ein alter Mann auf dem Heimweg, der die Böden einer Zuckerfabrik gefegt hatte. Er war zurückgewichen, als das Auto über den Bordstein gesprungen war, aber jetzt stand er da, gespannt, ob der Laternenpfahl doch noch umfallen würde. Was nicht passierte. Zumindest noch nicht.
Der Buick setzte langsam zurück, das Vorderrad löste sich vom Bordstein. Diese Bewegung veranlasste den Laternenmast, sich in die andere Richtung zu neigen, zu weit, und wieder zurückzuschwingen wie ein gigantisches Metronom.
Der Fußgänger hörte, wie eine Frau etwas rief wie: »Was zum Teufel machst du da? Bring mich einfach nach Hause.« Der Fußgänger schüttelte den Kopf und schlurfte davon, bevor noch etwas Schlimmeres passierte.
Ob man die Laternenpfähle tatsächlich als »neu« bezeichnen konnte, war eine Frage der Perspektive. Eigentlich waren sie schon ein paar Monate alt, doch bedachte man, wie viele Jahre die Oberhäupter der farbigen Gemeinde von Atlanta gebraucht hatten, um den Bürgermeister von ihrer Notwendigkeit zu überzeugen, und wie viele Jahre die Negroes auf ihrer belebtesten und reichsten Straße im Dunklen hatten laufen müssen, fühlten sich die vom Himmel geschickten Straßenlaternen immer noch wie neu an.
Das alles wusste der Fahrer des Buicks nicht.
Als er versucht hatte, auf der leeren Straße zu wenden, hatte er seinen Wendekreis falsch eingeschätzt. Oder die Breite der Straße, oder die Physik im Allgemeinen. Vermutlich hatte er auch nicht bemerkt, dass nur zwei Querstraßen weiter zwei Beamte der Polizei von Atlanta standen.
*
Fünf Minuten zuvor hatte Officer Lucius Boggs seinen Partner Tommy Smith endlich auf sein Hinken angesprochen.
»Das ist doch nicht beim Baseballspielen passiert. Gib’s zu.«
»War eben ein harter Slide«, sagte Smith.
»McInnis hast du aber erzählt, du bist auf die dritte Base zugerannt.«
Beim morgendlichen Appell hatte Smith ihrem Sergeant, McInnis, versichert, dass sein Knie in Ordnung sei, eine kleine Verstauchung aus einem Match mit Freunden.Sie wissen ja, wie diese Plätze sind, Sir, man hat null Haftung. McInnis hatte mit versteinertem Blick zugehört, als hätte er in seinem Leben schon mehr als genug Blödsinn von Farbigen vernommen, doch beschlossen, dass die Angelegenheit es nicht wert sei, nachzubohren.
»Ich bin aus ’nem Fenster gefallen«, gab Smith jetzt gegenüber Boggs zu. Sie standen auf der Hilliard Street, nur drei Querstraßen vom NegroYMCA entfernt, dessen Untergeschoss ihnen als provisorische Wache diente. Um die Uhrzeit war die Sonne längst verschwunden, doch sie hatte mehr als genug Hitze bis zu ihrem nächsten Auftauchen dagelassen. Beide Polizisten hatten ihre Unterhemden durchgeschwitzt, und selbst ihre Uniformen waren feucht.
»Aus deinem?«
»Was glaubst du?«
Boggs verschränkte die Arme und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Und welche Lady wolltest du mit deinen akrobatischen Fähigkeiten beeindrucken?«
»Eigentlich hat sie meine Akrobatik anfangs ganz gut unterhalten. Bis ihr Mann in die Wohnung gestürmt kam.«
»Bist du irre?«
»Mir hat sie erzählt, dass er sie verlassen hat. Seine Zelte in Detroit aufschlägt. Meinte so was wie, sie braucht einen Anwalt wegen der Scheidungspapiere.«
Beamte der Polizei von Atlanta waren angewiesen, sich an einen strikten ethischen Kodex zu halten: kein Alkohol, noch nicht einmal privat, und keine Frauengeschichten, doch bis zu Tommy Smith war das offensichtlich noch nicht durchgedrungen. Negro-Officer mieden pflichtbewusst jeglichen Alkohol, denn sie wussten, dass Zeugen sie jederzeit melden konnten und sie damit ihren Job verlieren würden, doch Smith war mit der Vorstellung, plötzlich auf dem Pfad der Tugend zu wandeln, völlig überfordert.
»Du spielst mit deinem Leben.«
»Von Verheirateten lass ichgrundsätzlich die Finger.«
»Außer von der. Und dem Mädchen mit den kandierten Pekannüssen. Und der …«
»Das ist was anderes. Wir kannten uns schon ewig.«
Sie setzten sich wieder in Bewegung.
»Und was ist dann passiert?«