: Mario Cruz
: Der Prinz
: Albino Verlag
: 9783863003074
: 1
: CHF 10.80
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 128
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Chile, Anfang der siebziger Jahre. Am Ende einer durchzechten Nacht ersticht der junge Jaime seinen heimlich begehrten besten Freund. Im Gefängnis landet er in einer Gruppenzelle, in der ein gefürchteter Anführer das Sagen hat, den alle nur 'El Potro', den jungen Hengst, nennen. El Potro wird Jaimes Beschützer und macht ihn zu seinem neuen 'Prinzen', erwartet dafür aber Loyalität und sexuelle Unterordnung. Die 'Liebe im Dunkeln' zwischen den beiden erfüllt Jaimes Bedürfnis nach Zuneigung und Zugehörigkeit, weckt in ihm aber auch die Lust, selbst zum Anführer zu werden. Doch dann entbrennt im Knast ein brutaler Machtkampf. Mit seinem Roman 'Der Prinz' führt uns Mario Cruz in eine Welt der Hierarchien und Machtproben, deren Doppelbödigkeit er in knapper, schnörkelloser Sprache offenlegt: so unmoralisch wie naiv, so zart wie fatalistisch. Der 1972 im Selbstverlag gedruckte Roman avancierte in Chile zunächst zum Underground-Hit, geriet nach der Machtergreifung Pinochets aber in Vergessenheit und wird hier zum ersten Mal wieder veröffentlicht. Im Nachwort zu dieser Ausgabe begibt sich Florian Borchmeyer auf Spurensuche nach dem Autor dieser literarischen Wiederentdeckung.

Mario Cruz arbeitete seit Anfang der Sechzigerjahre in Santiago de Chile als Reporter, Kritiker und Redakteur für die Regenbogenpresse wie ebenso für seriöse Zeitschriften. Seine Theaterstücke über Probleme von Jugendlichen wurden vom Theaterinstitut der Universität Santiago veröffentlicht. Den Roman 'El Principe' ließ Cruz auf eigene Kosten drucken und verkaufte die Hefte im Zeitschriftenkiosk eines Freundes. Dreißig Jahre später entdeckte Regisseur Sebastián Muñoz durch Zufall eins dieser Hefte in einem Second-Hand-Laden.

Wenn ich jetzt im Knast landete, dann aus reiner Blödheit. Aber was hätte es gebracht abzuhauen? Alle hatten mitbekommen, wie ich dem Zigeuner* den Stich versetzt hatte. Ich bin am Arsch, dachte ich noch, während die Blutlache immer größer wurde.

Die Leute in der Kneipe waren zur Tür gerannt und hatten von dort aus zugesehen. Sie tuschelten und rempelten sich gegenseitig an. Von hinten hörte man das Feixen der Witzbolde, die nie fehlen.

Der Zigeuner* lag da und starrte zur Decke. Ich wollte ihm die Augen schließen. Hab mich nicht getraut. Ich nahm einen Stuhl; griff mir eine Flasche Bier. Ich hatte das Verlangen, etwas Starkes zu trinken. Die komplette Bar stand zu meiner Verfügung: Pisco, Rum, Branntwein, Anisschnaps. Aber dass die Leute mich anglotzten, verunsicherte mich. Ich empfand weder Schmerz noch Reue. Das war seltsam, weil ich den Zigeuner doch bewunderte, ja sogar liebte. Ich beschloss zu warten. Und setzte mich. Die Jukebox spielte weiter.

Die Bullen glaubten mir nicht, als ich dem Suff die Schuld gab. Sie vermuteten, dass ich ihnen die wahre Geschichte verheimlichte. Und vermöbelten mich gründlich. Dann warfen sie mich in eine Zelle, in der schon ein anderer saß. Ein Einbrecher. Wir redeten kaum. Jeder war mit seinem eigenen Problem beschäftigt. Es stank widerlich nach Pisse. Vom Gang drang etwas Licht von einer schmutzigen Birne in die Zelle. Die Bullen am Eingang verfolgten ein Fußballspiel im Radio. Sie schlossen mit lautem Geschrei Wetten ab.

Der Einbrecher war klein und hatte drahtiges, fast pechschwarzes Haar. Er saß auf dem feuchten Boden, mit ausgestreckten Beinen, an die Wand gelehnt. Trug ein gelbes T-Shirt und eine hellblaue Hose – fast so eine, wie ich sie vor zwei Jahren gehabt hatte.

Mit welchem Genuss hatte ich damals die alte ausgezogen. Sie war zu weit gewesen, am Hintern geflickt und schon so oft gebügelt, dass sie glänzte. Ich schlüpfte in die neue und lief ins Zimmer meines Vaters, um mich im großen Spiegel des Kleiderschranks zu begutachten. Die neue Hose war ganz leicht. Es war angenehm, ihren geschmeidigen, kühlen Stoff auf der Haut zu spüren. Sie saß schön eng. Hinten zeichnete sich die Unterhose ab, vorne beulte sie sich kräftig aus. Mann, war ich stolz!

Ich hab keinen hässlichen Körper. Hübsch bin ich natürlich auch nicht. Aber schlank. Und muskulös. Ich würde gern behaarter sein. Aber im Großen und Ganzen bin ich ganz zufrieden mit mir. Man sagt, dass ich mich lässig bewege.

Ich hab es schon immer gemocht, mit halboffenem Hemd herumzulaufen, sodass man meine Brust sieht. Zugeknöpfte Typen mag ich nicht.

An diesem Abend brachte mich der Gedanke an die Witze, die die Jungs über mein neues Outfit reißen würden, schon im Voraus zum Lachen. Es war klar, dass sie mich aufziehen würden. Mit Pfiffen, blöden Sprüchen und Sticheleien, die mir zu verstehen gaben, dass ich super aussah. Meine Leute erkannten erst jetzt, dass ich einen Körper besaß … mehr oder weniger. In meiner alten abgerissenen Kleidung hatte ich überall hingehen können, ohne dass mich jemand bemerkte. Es stand also außer Frage, dass die Jungs mir die neue Hose niemals kommentarlos durchgehen lassen würden, aber das war mir recht; ich wollte, dass sie mich im Gedächtnis behielten wie den Zigeuner. Wenn der auf seinem brandneuen chromblitzenden Motorrad aufkreuzte und mehr Lärm machte als der Teufel, guckten alle. Auch er trug sein Hemd immer offen, und der Wind fuhr hinein und ließ es flattern. Er hatte fast blonde Haare auf der Brust und ein goldenes Medaillon. Und eine elegante Art, vom Motorrad abzusteigen, sich zu strecken, zu lächeln und mit seinen bernsteingrünen Augen zu blinzeln. Er genoss es, sich an die Wand oder einen Baum zu lehnen, und das tat er so, dass der Stoff seiner Hose sich straffte. So konnte jeder seine kräftigen Beine sehen. Und das Paket dazwischen, das den Stoff fast zum Platzen brachte.

Wenn wir anhielten, um am Rande des P