: Klaus Mann
: Klaus Mann - Gesammelte Werke Alle Romane. Alle Erzählungen. Alle Autobiographien.
: Books on Demand
: 9783751957717
: 1
: CHF 2.60
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 4813
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Sammelband mit allen Romanen, allen Erzählungen und allen Autobiographien · Der Vulkan · Mephisto · Symphonie Pathétique · Flucht in den Norden · Treffpunkt im Unendlichen · Alexander · Der fromme Tanz · Alle Erzählungen · Kind dieser Zeit · Der Wendepunkt

Klaus Mann lebte von 1906 bis 1949 und war ein deutscher Schriftsteller.

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Am nächsten Morgen besuchte Marion ihre alte Freundin Anna Nikolajewna Rubinstein, die draußen in Montrouge eine Zweizimmerwohnung mit ihrem Gatten und ihrer halberwachsenen Tochter hatte. Die Tochter arbeitete in einem Modesalon; der Mann war in einem großen Verlagshaus angestellt, wo seine Beschäftigung fast ausschließlich darin bestand, Adressen zu schreiben und zu sortieren. Er hatte es während der zehn Jahre, die er in Paris lebte, noch nicht gelernt, fließend und akzentlos Französisch zu sprechen. In Moskau war er der Herausgeber einer gemäßigt-liberalen Revue gewesen. Die Kerenski-Revolution hatte er freudig begrüßt, und einige Wochen nach der Oktoberrevolution war er in die Emigration gegangen, ganz ohne Geld, mit ein paar Krawattennadeln und Ringen als einzigem Besitz. In Berlin hatte er Anna Nikolajewna kennengelernt. Sie war Malerin und dekorierte nun Teetassen, Blumenvasen und Fächer mit bescheidenen Blumenstilleben, bunt gefiederten Vögeln und kleinen Barockengeln. Zuweilen fand sie Käufer für ihre liebliche Ware.

Marion war bei ihrem ersten Pariser Besuch, im Jahre 1928, durch gemeinsame Berliner Freunde mit Madame Rubinstein bekannt geworden. Anna Nikolajewna hatte der jungen Deutschen Paris gezeigt; Marion liebte die russische Dame, und sie hatte immer die Tapferkeit bewundert, mit der die Verwöhnte – denn Anna stammte aus reichem Hause – Not und Erniedrigung des Exils ertrug. Niemals hatte Marion ein Wort der Klage von Anna Nikolajewna gehört. »Man muß zufrieden sein«, pflegte sie mit ihrer weichen, singenden Stimme zu sagen. »Man muß sogar dankbar sein. Wir haben alle zu tun: la petite Germaine, mon pauvre Léon et moi-même …« Marion wußte genau, wie miserabel sie für ihre verschiedenartigen Arbeiten bezahlt wurden. Übrigens hatten alle drei immer Heimweh. Es gelang ihnen nicht, sich einzuleben im fremden Paris. Sie verkehrten beinah nur mit Russen, lasen fast nur russische Zeitungen und Bücher. Sonderbarerweise litt an dieser Heimwehkrankheit sogar die junge Germaine, die doch ein ganz kleines Kind gewesen war, als ihre Mutter Rußland verließ. Sie stammte aus einer ersten Ehe Anna Nikolajewnas; der Vater war im Bürgerkrieg gefallen, auf der Seite der Weißen …

Madame Rubinstein konnte nicht älter als fünfundvierzig Jahre sein; sie sah aus wie eine Sechzigjährige. Ihr Haar war schlohweiß, ihr gescheites sanftes Gesicht von vielen Falten durchzogen. Sie trug sich immer in Schwarz. »Ich muß Trauer um Rußland tragen«, hatte sie einmal mit geheimnisvollem Lächeln zu Marion gesagt, die etwas schaurig davon berührt gewesen war. Manche der Kleidungsstücke, die Anna Nikolajewna besaß, stammten noch aus der Zeit vor dem Kriege – wunderliche Pelzmantillen, Spitzenjabots, kleine runde Muffs, allerlei überraschende Kopfbedeckungen aus Pelz: St.