Kapitel 2
Obwohl das Schlafzimmerfenster die ganze Nacht sperrangelweit offen gestanden hatte, lag Isobel schweißgebadet im Bett. Jäh riss sie die Lider auf und befreite sich so aus dem Würgegriff der Bilder in ihrem Kopf. Es waren immer dieselben: pechschwarze Finsternis, in der langsam und unheimlich winzige Lichter erschienen, glühend wie die Augen mordlüsterner Bestien, die nach ihrem Blut lechzten. In dem Traum versuchte sie wegzurennen, aber ihre Beine waren wie gelähmt. Ebenso versuchte sie erfolglos, sich die Ohren zuzuhalten, um das hämische Gelächter und das kalte, so kalte Flüstern auszusperren, dass ihr hässliche Worte zuraunte. Das Laken hatte sich um ihre Beine gewickelt und sie praktisch aneinandergefesselt. Die Bettdecke war so weit nach oben gerutscht, dass Isobel darunter förmlich erstickte. Sie schob sie von ihrem Gesicht.
Sie hatte gehofft, dass der Tapetenwechsel etwas bewirken würde und ihre Albträume sie hier nicht finden könnten. Aber anscheinend spielte es keine Rolle,wo sie war. Dass die Träume sie verfolgten, lag daran,wer sie war.
Sie befreite sich aus den Laken und der Decke, setzte sich auf, zog an den Haaren, die an ihrem nackten Rücken klebten, und fächelte sich Luft auf den Hals, während sie wartete, dass ihr Herz zu rasen aufhörte. Als sie sich schließlich ruhiger fühlte, stand sie auf und ging zum Fenster. Ihr Blick wanderte durch den Garten, während das sanfte Mondlicht die Rundungen ihres nackten Körpers umfloss. Natürlich war von dem Dachdecker nichts mehr zu sehen. Als sie zu spielen aufgehört hatte, war er vom Dach geklettert. Isobel hatte ihn dabei beobachtet, wie er im schwindenden Licht den Garten durchquert hatte.
Es überraschte sie, dass sie ihn überhaupt bemerkt hatte. Er hatte völlig still dagesessen, als sie am Vorabend aus dem Fenster im Wohnzimmerfenster geschaut hatte. Während sie spielte, schlenderte sie oft umher. Das half ihr, locker zu lassen. Anfangs hatte sie gedacht, der Mann wäre in seine eigene Arbeit vertieft. Als er sich eine halbe Stunde später immer noch nicht gerührt hatte, war ihr klargeworden, dass er ihr tatsächlich beim Spielen zuhörte.
Was sich außergewöhnlich angefühlt hatte. Sie war überzeugt gewesen, dass er sie nicht sehen konnte – dafür sorgte das vom Fenster reflektierte Licht der Abendsonne. Deshalb hatte er wahrscheinlich auch nicht mitbekommen, dass sie ihn sehr wohl sehen konnte. Aber seine Gegenwart hatte sie fasziniert. Die Situation hatte etwas sehr Intimes, und Isobel hatte sich dabei ertappt, dass sie für ihn spielte, Kraft aus ihrer Unsichtbarkeit schöpfte, tiefer und tiefer in ihre Musik eintauchte, bis sie die perfekte Stille in ihrem Innersten fand. Von da an hatte sie das Gefühl gehabt, sie könnte ewig weiterspielen. Es lag Jahre zurück, dass sie zuletzt einen Funken davon verspürt hatte, und bei den letzten Takten waren ihr Tränen übers Gesicht gelaufen. Plötzlich schauderte sie bei der Erinnerung an diese kurze Befreiung. Am Ende hatte es doch nichts geändert. Der Albtraum war zurückgekehrt – wie in so vielen Nächten davor.
Ihre Füße tappten über den dicken Läufer neben dem Bett, dann suchte sie sich vorsichtig den Weg aus dem Schlafzimmer. Sie stieg die Treppe hinunter und tastete sich durch den Flur. In der Küche holte sie sich ein Glas Wasser und nahm es mit ins Wohnzimmer. Es war verlockend, wieder zu spielen, um den Kopf frei zu bekommen. Um ein Haar hätte sie tatsächlich zur Geige gegriffen. Erst im letzten Moment bremste sie sich und trank stattdessen einen großen Schluck Wasser. Sie hielt sich das kalte Glas an die Wange und atmete tief durch. Morgen und übermorgen würde sie genug Zeit zum Arbeiten haben, hielt sie sich vor Augen. Und hier, ohne all die Unterbrechungen von zu Hause, könnte sie sich konzentrieren und heilen.
Das Bett fühlte sich kühl und einladend an, als sie wieder hineinschlüpfte und die Decke über sich zog. Diesmal schlief sie ruhig.
***
Tom schaltete sein Handy aus und stöhnte, als er sich herumrollte. Es war erst acht, und gerade war die dritte SMS von Angie eingegangen. Er war selbst schuld – er hätte ihr am vergangenen Abend einfach sagen sollen, dass er es sich wegen ihrer Verabredung anders überlegt hätte. Stattdessen hatte er, nachdem er Isobels Stück gelauscht hatte, seine frühere SMS über die Autopanne ausgeschmückt. Er hatte behauptet, der Akku hätte schlappgemacht, als er in der örtlichen Garage anrief, und er hätte warten müssen, bis er nach Hause abgeschleppt wurde. Er hatte sogar vorschlagen, sie solle sich bei ihm melden, damit sie eine neue Verabredung arrangieren könnten. Allerdings hatte er nicht wirklich damit gerechnet, sondern erwartet, dass er nie wieder von ihr hören würde. Er verfasste eine weitere entschuldigende Antwort, aber diesmal machte er klar, dass es sich zwischen ihnen erledigt hätte.Hat nichts mit dir zu tun, liegt allein an mir. Rasch schickte er die Nachricht ab, bevor er es sich anders überlegen konnte. Schließlich starrte er auf sein Handy und biss sich auf die Unterlippe, während sein Finger über der Schaltfläche der Tinder-App schwebte. Er tippte auf Löschen. Das konnte er einfach nicht mehr tun.
Seinen We