1. KAPITEL
Mit goldenen Lettern hatte das Motto von Sydneys bekanntestem Maskenball auf der Einladungskarte geprangt: „Gewagt, romantisch, verführerisch …“
Na dann, dachte Ruby, die nur mit Mühe ein Gähnen unterdrückte. Hoffentlich signalisierte ihr Lächeln so viel wie: „Ich habe wirklich verdammt viel Spaß!“ Und nicht: „Ich wünschte, ich könnte dieses Glas Riesling zu Hause auf dem Sofa trinken, während ich die neueste Folge von Law& Order schaue.“
Ein opulenter Ball war das Letzte, worauf sie nach einer Achtzig-Stunden-Woche Lust hatte, die mit jedem Tag schlimmer geworden war und ihr auch noch am Wochenende eine Menge Arbeit abverlangen würde. Aber sie war hier, um ihre Schwester zu unterstützen, deshalb kam es nicht infrage, einfach zu gehen. Zumal das Ganze eine interessante Abwechslung zu der täglichen Mühsal in ihrem winzigen Anwaltsbüro darstellte, in dem sie beharrlich für Recht und Gerechtigkeit kämpfte.
Wohin Ruby auch blickte, überall sah sie prächtig gekleidete Gäste, die sich in funkelnden Kostümen und Masken durch den Raum bewegten und fröhlich miteinander plauderten. Es war, als würde man in eine Zeit zurückreisen, als Frauen noch Perücken und Männer Federhüte getragen hatten.
Zum wiederholten Mal rückte Ruby den Ausschnitt ihres taillierten Kleids zurecht, der immer wieder verrutschte und dabei mehr Dekolleté enthüllte, als ihr lieb war. Gott sei Dank konnte sie sich hinter einer aufwendigen schwarzen Spitzenmaske verstecken.
„Ich weiß wirklich zu schätzen, dass du heute Abend mitgekommen bist, das weißt du doch hoffentlich?“, murmelte Molly neben ihr.
„Ich finde es toll hier“, versicherte sie rasch, damit ihre Schwester kein schlechtes Gewissen bekam, nur weil sie sie heute hierher geschleift hatte. Molly hatte eine Mission – auf dem Ball wollte sie mit irgendeinem berühmten Regisseur ins Gespräch kommen und ihn davon überzeugen, sie für seinen nächsten Hollywoodfilm zu casten. Nachdem sie die Schauspielschule absolviert hatte, war Molly in einigen kleineren Theaterproduktionen und Fernsehserien aufgetreten. Ruby würde alles tun, um ihrer Schwester dabei zu helfen, ihren Traum zu verwirklichen.
„Nein, das tust du nicht“, seufzte Molly. „Aber ich weiß deine Lüge zu schätzen. Davon abgesehen habe ich den strikten Auftrag, dafür zu sorgen, dass du endlich mal ein bisschen Spaß hast.“
„Lass mich raten“, erwiderte Ruby und verdrehte die Augen. „Mum hat dich beauftragt, mir einen netten Mann zu suchen, in den ich mich verlieben und mit dem ich jede Menge Enkelkinder produzieren soll.“ Als wäre das etwas Neues!
„Du weißt doch, wie Mum ist – ein bisschen altmodisch. Das kannst du ihr nicht vorwerfen“, verteidigte Molly ihre Mutter.
„Ich werfe es ihr nicht vor. Ich hege nur nicht die Absicht, ihrem Beispiel zu folgen.“
„Indem du überhaupt nicht mit Männern ausgehst?“
„Ich gehe mit Männern aus“, widersprach Ruby und schob eine widerspenstige Strähne ihres Blondhaars unter die pompöse weiße Perücke. „Wenn ich Zeit dazu habe.“
Jetzt war es an Molly, die Augen zu verdrehen. „Das letzte Mal, dass du ein Date hattest, streiften noch Dinosaurier über diesen Planeten.“
Ruby musste lachen. „Ich bin einfach keine Romantikerin so wie du und Mum. Ich erkenne leider nicht in jedem Mann, der zu mir rüberschaut, den Richtigen.“
„Das liegt daran, dass du keinem eine echte Chance gibst. An allen hast du etwas auszusetzen. Aber ehrlich, Rubes, nur weil Dad Mum damals wegen einer anderen verlassen hat, heißt das nicht, dass jeder Mann mit uns dasselbe tun wird.“
Ruby konnte nicht leugnen, dass das Verhalten ihres Vaters sie misstrauisch gemacht hatte, was die Liebe anging. Doch das war nicht der einzige Grund. Ihrer Erfahrung nach wollten Männer viel mehr von einer Frau, als sie selbst zu geben bereit waren, und bislang war ihr noch kein Mann begegnet, der sie eines Besseren belehrt hätte.
Nicht mal Sam Ventura.
Vor allem nicht Sam Ventura – auch wenn er