Das Bewerbungsgespräch
»Also, Herr Humboldt, warum sind Sie heute hier?« Der groß gewachsene Manager war hinter seinem Schreibtisch sitzen geblieben und musterte mich mit seinen wachen blauen Augen. Die Frage überraschte mich, und ich geriet etwas aus dem Konzept. Ich hatte allenfalls mit einem Nein gerechnet, aber nicht mit einem Warum. Meine Anzughose begann unangenehm in den Kniekehlen zu kleben. Es war ein heißer Sommertag, und schon die Vorbereitung auf das Bewerbungsgespräch war alles andere als optimal verlaufen.
Hoffentlich hält das Tipp-Ex.
Unruhig rutschte ich auf dem Stuhl hin und her. Alle meine Sinne waren in Alarmbereitschaft, und ich versuchte das Gespräch in die richtigen Bahnen zu lenken.
»Vielen Dank, Herr Falkenstein, dass Sie sich Zeit nehmen für mich. Ich bin wegen der offenen Stelle in der Rechtsabteilung hier. Mein Headhunter hat den Termin mit Ihnen abgemacht.«
»So, hat er das?« Theatralisch drehte sich Falkenstein auf seinem Ledersessel weg und blickte auf die beiden Bildschirme vor sich auf dem Schreibtisch. Mit einem leichten Kopfschütteln wandte er sich wieder zu mir und hob entschuldigend die Hände. »Bei mir ist nichts eingetragen. Da muss es sich wohl um ein Missverständnis handeln.« Der Manager genoss die Situation offensichtlich. Unter dem feinen Schnurrbart formten sich seine Lippen zu einem Lächeln.
Ich spürte, wie das Blut in meine Wangen schoss. Meine rechte Hand ballte sich zu einer Faust. Ich umschloss sie unauffällig mit ihrem linken Pendant. »Ihre Sekretärin hat mir den Termin schriftlich bestätigt. Eventuell ist ein interner Kommunikationsfehler unterlaufen. Wenn es Ihnen recht ist, können wir das Gespräch aus Effizienzgründen dennoch führen. Sonst müsste ich Ihre Zeit ein weiteres Mal beanspruchen. Für mich wäre das natürlich kein Problem. Ich bin flexibel für Sie. Aber Ihre Agenda als Divisionsleiter ist sicher prall gefüllt.«
Der hohe Manager blickte mich lange an und nickte schließlich. Zweifellos war er Schmeicheleien nicht abgeneigt. Behaglich drückte er seinen Rücken durch. Dann nahm er ein Dokument in die Hand und setzte sich zu mir an den runden Gesprächstisch. Vor ihm lag mein Lebenslauf! Der gewiefte Stratege hatte mich also nur getestet. Er blätterte durch die Unterlagen. Eine Minute herrschte Stille.
»Nun, wenn Sie schon hier sind, erzählen Sie mir doch ein wenig über Ihren bisherigen Werdegang.« Falkenstein nahm sein Nokia 8110 in die Hand, öffnete die gebogene Schutzhülle und blickte scheinbar gelangweilt auf das bananenförmige Gerät. Dabei fläzte er sich weit in den Stuhl zurück und überschlug seine langen Beine.
Ich ließ mich durch das inszenierte Desinteresse nicht provozieren. An Ausdauer und Kampfgeist hat es mir nie gefehlt. Dementsprechend legte ich los. »Nach dem Abitur habe ich an der Universität Rechtswissenschaft studiert. Ich habe mich auf internationales Wirtschaftsrecht spezialisiert und mit summa cum laude abgeschlossen.«
Der Manager legte sein Mobiltelefon vor sich auf den Tisch, lächelte mich spöttisch