: Renée Carlino
: Wenn du bei mir bist Roman
: Verlagsgruppe Lübbe GmbH& Co. KG
: 9783732594405
: 1
: CHF 8.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 318
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Die junge Journalistin Kate wittert ihre große Chance, als der geheimnisvolle, öffentlichkeitsscheue Multimillionär R.J. Lawson endlich einem Interview zustimmt. Kaum auf seinem idyllischen Weingut in Napa Valley angekommen, lernt sie den attraktiven Arbeiter Jamie kennen, und die beiden verlieben sich Hals über Kopf. Doch nach einer märchenhaft romantischen Woche ist Jamie plötzlich verschwunden,und Kate muss sich fragen, wer der Mann, der ihr Herz stahl, eigentlich wirklich ist.

1.  Neue Spielregeln


Eines Morgens im Oktober erwachte ich um sieben Uhr früh in meiner kleinen Wohnung in Lincoln Park. Ich machte mich fertig, aß eine trockene Waffel, wickelte mich in vier Lagen Kleidung, marschierte zur L-Station an der Fullerton und stieg etwa um Viertel nach acht in den Zug. Nichts an diesem Morgen war ungewöhnlich, und doch war dies der Tag, der die Spielregeln ändern sollte – ich wusste es nur noch nicht.

Ich durchquerte drei Waggons, ehe ich ihn fand. Ich setzte mich hinter zwei meiner Gemeindemitglieder und bereitete mich auf die Messe vor. Dies war an jedem Morgen unsere Kirche, und unser Pastor war Bob, zumindest war er das für mich. Als ich ihm das erste Mal begegnet war, hatte ich ihn nach seinem Namen gefragt, und er sagte: »Bob.« Ich wartete darauf, dass er weitersprach, und da sagte er: »Einfach Bob«, also nannte ich ihn nun auch so.

Mein Selbsterhaltungstrieb hätte in meinem sechsundzwanzigjährigen Kopf Alarm schlagen müssen, als vor sieben Monaten Bob in einem Hochbahnwaggon voller unschuldiger Menschen zu predigen begonnen hatte, aber gleich als ich ihn das erste Mal sprechen hörte, war ich hin und weg. Nie redete er von der Bibel oder von Religion oder Feuer und Schwefel. Und das Erste, was er an jenem Tag sagte, war: »Ihr seid alles, was ihr habt!«

Er war ein alter, müde aussehender Mann, mindestens siebzig Jahre alt. Fünf graue Haare sprossen auf seinem runden, kahlen Kopf, und er trug an jedem einzelnen Tag die gleiche Dockers-Hose, das gleiche Pendleton-Hemd. Seine Kleidung war sauber, zumindest sah sie sauber aus, aber er verströmte einen sehr ausgeprägten Geruch. Er roch nach alten Büchern, so eindringlich wie die hinterste Ecke der ältesten Bibliothek auf Erden.

Ich stellte mir vor, dass er in einer süßen kleinen Wohnung lebte, die bis unter die Decke mit alten gebundenen Büchern vollgestopft war. Er konnte kaum stehen, umso weniger gehen, also war es ein wahres Wunder, dass er es mit der Präzision eines Uhrwerks an jedem Tag in den Zug schaffte, um zu seinen treuen Anhängern zu sprechen. Wir waren vielleicht zehn. Ich kannte die anderen gar nicht – im Grunde blieb doch jeder für sich –, aber die Gesichter waren mir in den vergangenen sieben Monaten vertraut geworden.

Chicago hat seinen Anteil an seltsamen Leuten, die gern mit der L fahren und laut vor sich hin reden. Ich weiß es, schließlich bin ich mein ganzes Leben lang mit dieser Bahn gefahren, aber Bob war anders. Er hatt