: Michaela Grünig
: Palais Heiligendamm - Ein neuer Anfang Roman
: Verlagsgruppe Lübbe GmbH& Co. KG
: 9783732594504
: Heiligendamm-Saga
: 1
: CHF 8.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 574
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Heiligendamm, 1912: Die Berliner Hotelierfamilie Kuhlmann hat große Pläne, man will dem berühmten Grand Hotel Konkurrenz machen. Doch die High Society steigt lieber weiter bei dem etablierten Rivalen ab.In dieser schweren Zeit zeigt ausgerechnet die junge Tochter Elisabeth kaufmännisches Geschick, während sich der sensible Sohn Paul für Musik begeistert. Vater Kuhlmann sieht sich gezwungen, den Emporkömmling Julius Falkenhayn um Hilfe zu bitten. Und der hegt recht unkonventionelle Ansichten ...



Michaela Grünig, geboren und seelisch beheimatet in Köln, war lange Jahre im Ausland tätig. Dort kam sie nicht nur mit interessanten Menschen und ihren Geschichten zusammen, sie entdeckte auch ihre große Liebe zum Reisen, das sie aber immer wieder zu ihren Lieblingsorten an der Ostseeküste zurückführte. Seit 2010 hat sie ihr Hobby, das Schreiben, zum Beruf gemacht.

1. Kapitel


Doberan, Sommer 1912


Es war noch früh am Morgen, als Elisabeth die Augen aufschlug. Die ersten Sonnenstrahlen schienen durch einen Spalt in dem schweren Brokatvorhang und malten hell tanzende Punkte auf die gegenüberliegende Wand. Durch das geöffnete Fenster hörte sie das melodische Läuten des Münsters, das ihr immer noch ein wenig fremd vorkam. Eigentlich war sie von Kindesbeinen an die Geräusche der Großstadt gewohnt. Erst vor kurzem war sie mit ihrer Mutter und ihren Schwestern aus der hektischen Reichshauptstadt Berlin in das von hellen Buchenwäldern und Moor umgebene Doberan gezogen, wo ihr Vater bereits vor einem Jahr das luxuriöse Hotel Palais Heiligendamm eröffnet hatte. In dem idyllischen Ort gab es weder hupende Automobile noch laute Straßenhändler. Hier wehte ihr keine benzingeschwängerte Luft um die Nase, sondern eine salzig-frische Brise, die erahnen ließ, dass der Ostseestrand mit dem tiefblauen Meer und den bunten Strandkörben nur knapp sechs Kilometer entfernt lag.

Plötzlich hielt es Elisabeth nicht länger in ihrem Bett. Mit einem vorsichtigen Blick auf ihre jüngere Schwester Luise, die, das Gesicht umrahmt von blonden Locken, auf der anderen Seite des Zimmers schlief, stand sie auf und zog sich an. Ihr bodenlanges Kleid raschelte verräterisch, als sie auf Zehenspitzen zur Tür schlich. Die Klinke knarrte beim Herunterdrücken. Für einen Moment hielt Elisabeth inne. Doch ihre Schwester rührte sich nicht. Erleichtert stahl sich Elisabeth auf den Korridor der Privatwohnung ihrer Eltern, die im ersten Stock des Hotels lag. Dort schluckten die weichen Teppiche ihre Schritte, und nur der auf seinem Pferd sitzende Großherzog Friedrich Franz I., in dunkler Ölfarbe gemalt, blickte missbilligend auf sie herab. Ihrer Mutter gefielen diese morgendlichen Streifzüge nicht, und so war es Elisabeth eigentlich verboten, sich um diese Uhrzeit im Hotel herumzutreiben.

Warum nur, dachte sie. Was soll verkehrt daran sein, dass ich etwas über das Gewerbe meines Vaters lernen will? Weshalb muss ich mit neunzehn Jahren meine Zeit mit langweiligen Stickarbeiten und Musikstunden verschwenden? Kann sich meine Mutter nicht darüber freuen, dass ich etwas Sinnvolles tun möchte?

Allein bei dem Gedanken an das geschäftige Treiben im Hotel verspürte Elisabeth ein verheißungsvolles Kribbeln im Bauch. Sie hatte diese Atmosphäre schon im Berliner Fürstenhof geliebt, den ihr Vater früher gemeinsam mit seinem Bruder betrieben hatte und der jetzt von ihrem Onkel Hans allein weitergeführt wurde. Aber wie viel aufregender war es, wenn der emsige Bienenkorb der eigenen Familie gehörte? Erst neulich hatte ihr Vater mit viel Pathos am Mittagstisch verkündet, dass das zukünftige Schicksal der Familie Kuhlmann aufs Engste mit dem des Palais verknüpft sei. Wie hätte ihr da das Hotelgeschehen egal sein können?

Als sie an der Tür des privaten Speisezimmers der Familie vorbeiging, hörte sie das sachte Klappern von Porzellan. Himmel, die Stubenmädchen deckten bereits den Frühstü