: Silvia Götschi
: Muotathal Kriminalroman
: Emons Verlag
: 9783960412175
: 1
: CHF 11.60
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Kurz nachdem ein Junge aus dem Muotathal verschwindet und ein Unwetter die Region von der Außenwelt abschneidet, findet die Polizei eine schrecklich zugerichtete Leiche in der Nähe des Höllochs. Handelt es sich um das vermisste Kind? Schnell geraten Asylbewerber unter Verdacht, doch als ein Flüchtlingsmädchen verschwindet, verändert sich die Situation für Ermittlerin Valérie Lehmann grundlegend - und sie kommt einer Wahrheit auf die Spur, die jede Vorstellungskraft übersteigt.

Silvia Götschi, Jahrgang 1958, zählt zu den erfolgreichsten Krimiautorinnen der Schweiz. Ihre Krimis 'Einsiedeln' und 'Bürgenstock' landeten auf dem ersten Platz der Schweizer Taschenbuch-Bestsellerliste und wurden mit dem GfK No 1 Buch Award ausgezeichnet. Silvia Götschi hat drei Söhne und zwei Töchter und lebt heute mit ihrem Mann in der Nähe von Luzern. www.silvia-goetschi.ch

EINS


Ins Tal hinein kam sie bedenkenlos. Hinaus war es wenige Minuten später nicht mehr möglich. Valérie Lehmann hatte das Wasser kommen sehen. Auf dem Rückspiegel verfolgte sie die Katastrophe, die sich hinter ihr abspielte. Fast explosionsartig stürzte die Flutwelle über die Brücke. Der Bettbach hatte sich innerhalb kurzer Zeit in ein Monster verwandelt. Die Strasse nachMuotathal glich einem reissenden Fluss, durch den sich der Audi TT wie auf einer Achterbahn einen Weg bahnte. Sollte sie aus irgendeinem Grund anhalten müssen, würde sie stecken bleiben. So etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt. Sturm und Regen peitschten gegen die Frontscheibe. Die Sicht nahm mit jedem Meter ab. Es war, als führe sie in einen umbrabraunen Schlund, ohne das Ziel zu kennen.

Vor einer halben Stunde hatte der Kripo-Chef Dominik Fischbacher sie aufgeboten. Leichenfund am Ufer derStarzlen, eingangsHölloch. Das Einzige, was Valérie erfahren hatte, war, dass ein Unfall ausgeschlossen werden könne.

Da war zuerst diese Genugtuung gewesen. Ein neuer Fall! Die Schonzeit war abgelaufen. Sie würde als Ermittlungsleiterin dem Ungemach die Stirn bieten. Das war ihr Job. Und nichts anderes. Nach ihrem Spitalaufenthalt im Dezember war sie zum Innendienst verknurrt worden. Sie hatte sich mit allen möglichen lapidaren Fällen auseinandergesetzt und sich immer wieder eingestehen müssen, dass sie nicht dazu geboren worden war, Ermittlungsfehler anderer auszubügeln oder nach ausstehenden Rapporten zu jagen. Alle waren um sie besorgt gewesen. Henry Vischer, bei dem sie polizeipsychologische Unterstützung bekam, hatte ihr geraten, das Trauma zuerst richtig aufzuarbeiten, bevor sie sich wieder an die Front begab. Warum hätte sie etwas aufarbeiten sollen, von dem sie wusste, dass es zu ihrem Polizeialltag gehörte? Die Gefahr, in einen Schusswechsel zu geraten. Nun war es geschehen, und sie konnte es nicht rückgängig machen, höchstens daraus lernen.

Sie musste sich anstrengen. Ihre Augen durchbohrten einen grauen Film aus Wasser, der auf die Windschutzscheibe prallte. Das waren keine Tropfen. Es erinnerte vielmehr an mit einer zähen Flüssigkeit gefüllte Ballons, die reihenweise aufplatzten. Die Scheibenwischer schlingerten von einer zur anderen Seite.

Erst letzte Woche hatte Valérie mit dem Bike einen Ausflug insMuotatal gemacht. In dieses Hochtal südöstlich von Schwyz, das sie an die idyllischen Seitentäler des Unterwallis erinnerte. Schien die Sonne, standen Felsen, Wiesen und Tannengrün im Einklang mit dem Azurblau des Himmels. Häuser und Landschaft wirkten wie eine Modellanlage, der die Farben den letzten Feinschliff gaben. Auch hier hinten schien die Zeit stillzustehen. Ein Tal, das entschleunigte, in dem der Alltag mit jener Musse angegangen wurde, die vielerorts abhandengekommen war. Von den leuchtenden Wiesen und nach Holz riechenden Höfen war jedoch nichts geblieben als eine undurchdringliche Nebelwand, die das Unwetter vor sich herschob.

Es war erst halb vier und trotzdem fast dunkel.

Der Regen kam von allen Seiten. Auf der Strasse lag der Schlamm jetzt zentimeterhoch. Das Ganze erinnerte Valérie an eine Metapher. Sie fuhr durch die Hölle und würde bald vo